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Butler Parker
– Box 1 –

E-Book 1-5

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-433-2

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Parker im Netz der Spione

Josuah Parker befand sich in bester Urlaubsstimmung.

Um dieser Stimmung auch rein äußerlich Ausdruck zu verleihen, opferte er einige Cents und kaufte sich in einem der zahlreichen Blumenläden am Sonnenstrand von Miami eine blaß-rote Nelke, die er sich in das Knopfloch seines schwarzen Jacketts steckte.

Bevor er das Geschäft mit der freundlichen Verkäuferin verließ, prüfte er den Gesamteindruck noch einmal sicherheitshalber vor dem großen Spiegel neben der Eingangstür.

Er war durchaus mit sich zufrieden.

Im Spiegel stand ihm ein seriös gekleideter Herr gegenüber, der eine gewisse aristokratische Würde zeigte. Zu der schwarzen, steifen Melone, die dieser Herr auf dem Kopf trug, paßte das schwarze, zweireihige Jackett, die diskret gestreiften schwarzen Hosen und die tadellos geputzten Lackschuhe. Dieses Bild wurde zusätzlich noch verstärkt durch den schwarzen Stockregenschirm, der über dem linken Unterarm dieses Herrn hing. Kurz, Parker hätte sich durchaus in der Bond-Street von London sehen lassen können, nur eben nicht hier in Miami, wo die scheußlichen, knielangen Bermuda-Shorts und die grellen, bunten Hawaiihemden vorherrschten.

Doch daraus machte Parker sich nichts. Es kam ihm nicht darauf an, gegen den Strom eines uniformierten Geschmacks zu schwimmen. Dazu war er viel zu selbstbewußt. Schließlich stammte er nicht nur aus England, sondern war zudem noch ein Butler, wie er vielleicht nur noch in einschlägigen Filmen anzutreffen ist.

Parker ging durch die Ladentür hinaus auf die Promenade und genierte sich fast ein wenig, das feierliche Schwarz seiner Kleidung durch die blaß-rote Nelke aufgelockert zu haben. Nachlässigkeiten duldete er nicht. Schon gar nicht solche, die seine Person betrafen. Schließlich hielt er stets auf Würde und Zurückhaltung.

Selbstverständlich ignorierte er die teils erstaunten, teils belustigten Blicke, die seiner Person galten. Mochten selbst im Schatten auch gut und gern fünfunddreißig Grad herrschen, nie in seinem Leben hätte Parker sich in etwas luftigerer Kleidung gezeigt, wenn ihn nicht bestimmte Umstände dazu gezwungen hätten.

Parker schlenderte entspannt, aber dennoch würdevoll den Strand hinunter und näherte sich zielsicher einem kleinen mexikanischen Lokal, in dem man ausgezeichnet essen konnte. Er wollte ein kleines Mahl zu sich nehmen, um dann in seinem Hotel Siesta zu halten und in einem Waffenkatalog zu blättern, eine Beschäftigung, der er sich liebend gern hingab.

Nach wenigen Minuten merkte Parker indessen, daß er ebenso diskret wie hartnäckig verfolgt wurde. Es handelte sich, wie er bald herausbekam, um einen älteren Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, der einen hellen Sommeranzug trug und sein Gesicht hinter einer großen Sonnenbrille verbarg.

Parker hatte diesen Mann noch nie vorher gesehen, spürte aber sofort, daß irgendein Konflikt in der Luft lag, der sich allerdings noch nicht näher umreißen ließ.

Parker, an Zwischenfällen wirklich nicht interessiert, zeigte sich wieder einmal als höflicher Mensch. Er bog in eine kleine Seitenstraße ab, die jetzt um die Mittagszeit nur wenig belebt war. Dann holte er seinerseits eine Sonnenbrille aus der Ziertuchtasche seines schwarzen Jacketts und spielte nachlässig mit ihr.

Er sorgte allerdings dafür, daß er die Innenseite der Brillengläser als eine Art Rückspiegel benutzen konnte. Für solche Zwecke war diese Spezialbrille präpariert. Einen etwaigen überraschenden Angriff des Verfolgers hätte Parker also beobachten können.

Der Mann hinter ihm ging jetzt schneller und schloß von Sekunde zu Sekunde immer dichter auf.

Parker nahm den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms in die Hand, um sich eventuell wehren zu können.

Der Mann hinter ihm hatte aufgeschlossen und schickte sich an, ihn zu überholen.

Parker blieb ruckartig stehen und tat etwas irritiert. Sein plötzliches Anhalten war der Grund dafür, daß der Verfolger ein wenig an ihm vorbeischoß.

Dann stoppte auch der Verfolger, nahm knapp den Kopf zur Seite und zischte Parker einige Worte zu, die der Butler als Aufforderung verstand, diesem seltsamen Mann umgehend zu folgen.

Bevor Parker diesen Irrtum richtigstellen konnte, ging der Mann mit schnellen Schritten weiter und hielt auf eine Bierbar zu, die im Schatten einer windzerzausten Fächerpalme lag.

Parker, in der ehrlichen Absicht, diesen Irrtum richtigzustellen, folgte dem Mann in diese Bar hinein, die sich als überraschend sauber und leer entpuppte.

Der Mann blieb an der hohen Theke stehen und bestellte sich ein Lagerbier.

Parker baute sich höflich neben dem Mann auf und nickte dem Barkeeper höflich zu.

»Bringen Sie mir bitte auch ein Lagerbier«, sagte Parker dann zu ihm. »Nicht zu kalt, wenn es möglich ist, aber auf keinen Fall zu warm.«

Der Barkeeper grinste und wandte sich ab.

Der Gast neben Parker räusperte sich und wartete, bis der Barkeeper in einer Ecke der geschwungenen Theke verschwand. Dann drehte er sich etwas zu Parker herum.

»Wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?« fragte er vorwurfsvoll.

»Ich möchte annehmen, daß Sie mich meinen«, gab Parker höflich zurück.

»Lassen Sie die Mätzchen«, redete der Mann hastig, aber leise weiter. »Die Unterlagen stecken im Schließfach 113 am Flughafen, klar?«

»Ich habe, wenn ich mich so ausdrücken darf, auf keinen Fall etwas dagegen«, antwortete Parker zurückhaltend.

»Sie komischer Witzbold«, meinte der Mann, ohne daß die Spur eines Lächelns auf seinem erhitzten Gesicht zu erkennen war. »Von jetzt ab bin ich aus dem Spiel.«

»Ich möchte annehmen, daß Sie das besser beurteilen können als meine Wenigkeit«, erwiderte Parker, ohne sich aus der würdevollen Ruhe bringen zu lassen. Bevor er jedoch eine gezielte Frage stellen konnte, stieß der Mann sich von der Theke ab und ging mit schnellen Schritten auf den Ausgang zu.

»He, Sir, Ihr Bier!«

Der Barkeeper beugte sich über die Theke und hielt das abgefüllte Bier einladend hoch.

»Ersticken Sie dran!« gab der Mann gereizt zurück. Dann stieß er die Tür der Bierbar auf und verschwand nach draußen.

»Verrückter Vogel«, sagte der Barkeeper ärgerlich und schüttelte den Kopf. Er sah Parker irritiert an und fügte hinzu: »Muß an der Hitze liegen, daß alle verrückt spielen!«

Parker, der gerade mit einer höflichen Floskel antworten wollte, hörte genau in diesem Moment zwei Schüsse, die in schneller Reihenfolge hintereinander abgefeuert wurden und die die mittägliche Ruhe brutal durchbrachen.

Parker reagierte augenblicklich, obwohl diese beiden Schüsse ihm auf keinen Fall gegolten hatten. Er verließ die Bartheke, ohne dabei aber seine gewohnte Würde und Gemessenheit aufzugeben. Parker legte seinen Universal-Regenschirm über den linken Unterarm und schritt auf den Ausgang zu.

Auf diesem Weg wurde er von dem Barkeeper überholt.

Der Mann hatte die beiden Schüsse natürlich ebenfalls gehört und spurtete an Parker vorbei. Der Barkeeper war so überrascht, daß er noch ein frisch gefülltes Bierglas in der Hand hielt.

Parker hatte die schmale Straße erreicht.

Nur knapp zwanzig Meter von der Bar entfernt hatte sich bereits eine Gruppe von aufgeregten und neugierigen Menschen gebildet. Sie alle schauten auf einen am Boden liegenden Mann herunter, der offensichtlich nicht mehr lebte, zumal die beiden abgefeuerten Schüsse seine Brust getroffen hatten.

Parker ahnte bereits im voraus, was sich ereignet hatte und wer dort auf dem Boden lag. Er war es gewohnt, daß sich immer dann etwas ereignete, wenn er seine Ruhe haben wollte.

Nun, seine Ahnungen trogen nicht.

Der auf dem Boden liegende erschossene Mann war jener Bargast, der ihm die Nummer eines Schließfaches zugeflüstert hatte.

*

Josuah Parker hatte hinreichend genug einschlägige Kriminalfilme gesehen, um genau zu wissen, daß es sich um eine peinliche Verwechslung handeln mußte. Der Erschossene mußte ihn mit einem ähnlich gekleideten Besucher von Miami verwechselt haben. Die frisch gekaufte Nelke mußte dazu den letzten Ausschlag gegeben haben.

Parker wunderte sich.

Und zwar über die Tatsache, daß ein zweiter Mensch hier in Miami leben sollte, der ihm mehr oder weniger täuschend ähnelte. War solch eine äußere Übereinstimmung überhaupt möglich? Parker war sich ohne Eitelkeit klar darüber, daß er nicht gerade zu den Dutzenderscheinungen gehörte.

In Anbetracht der gegebenen Umstände hielt er es für taktisch richtig, sich erst einmal abzusetzen. Die augenblickliche Situation mußte erst einmal gründlich überdacht werden. Und dazu brauchte er Ruhe und nicht den Wirbel, der sich jetzt hier auf der schmalen Straße abspielte.

Die ersten Streifenwagen der Polizei rasten heran. Die Mordstelle wurde abgeriegelt, uniformierte Polizeibeamte suchten nach Zeugen und möglicherweise auch nach dem Mordschützen.

Parker, der stets eine gute Nase für Fluchtwege besaß, verschwand gemessen in einer nahen Toreinfahrt, schritt durch einen weiten Hof, ging vorbei an Mülltonnen und betrat schließlich die Hoftür eines großen dreistöckigen Hauses, in dem die Druckerei einer Zeitung untergebracht war.

Auf weniger verschlungenen Umwegen erreichte er schließlich wieder die Hauptstraße und sah sich nach einem Taxi um. Er hatte das Glück, einen freien Wagen zu finden, winkte ihn mit seinem Universal-Regenschirm ab und ließ sich aufatmend in die Polster fallen.

»Zum Dania-Hotel, wenn ich höflichst bitten darf«, sagte er zum Fahrer. »Und nicht zu langsam, wenn es sich einrichten läßt.«

Der Fahrer nickte und fädelte seinen Wagen in den Verkehr der Hauptstraße ein. Parker spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, sich eine seiner spezialangefertigten Zigarren anzuzünden, ließ ihn aber schleunigst wieder fallen, als er sich blitzschnell der Wirkung seiner Zigarren erinnerte, der Wirkung nämlich auf seine ahnungslosen Mitmenschen, die den seltsamen Wohlgerüchen dieser Zigarren nur in den seltensten Fällen zu widerstehen vermochten.

Parker befand sich eigentlich nie im Urlaub.

Auch an diesem Tage nicht.

Während der Fahrt drehte er sich wiederholt um und beobachtete die Straße durch das Rückfenster. Und wieder einmal stellte er fest, daß sein Taxi augenscheinlich beschattet wurde. Es handelte sich um einen grauen Buick, der ihm hartnäckig folgte und sich nie weiter als zwei oder drei Wagen abfallen ließ.

Befand sich in diesem Buick der Mordschütze?

Parker wußte es natürlich nicht, doch er kalkulierte diese Möglichkeit sofort ein. Eine gewisse Vorsicht hatte sich bisher stets als gesundheitsfördernd erwiesen.

»Ich möchte mein eben genanntes Fahrtziel abändern«, rief er dem Taxifahrer freundlich zu. »Setzen Sie mich irgendwo am Rande der Stadt vor den Dünen ab, ich möchte gern den Frieden der Natur genießen.«

»Und wie kommen Sie wieder zurück, Sir?« erkundigte sich der Fahrer.

»Irgendeine passende Möglichkeit wird sich mit einiger Sicherheit ergeben«, gab der Butler zurück. »Sorgen Sie nur dafür, mich an eine möglichst einsame Stelle zu bringen.«

»Das können Sie haben. Wie wär’s mit Coach-Beach, Sir?«

»Ein beruhigend klingender Name«, antwortete Parker. »Ich glaube, wir bleiben dabei!«

Und erneut schaute er durch den Rückspiegel und hielt Ausschau nach dem verfolgenden Wagen. Nun, er hatte sich nicht getäuscht, denn der graue Buick folgte dem Taxi nach wie vor.

Nach einer Fahrt von weiteren fünfzehn Minuten verließ der Fahrer die betonierte Ausfallstraße und bog zu den Dünen ab. Dann stoppte er und sah sich fragend nach Parker um.

»Sind Sie auch sicher, daß hier das Richtige für Sie ist?« erkundigte er sich.

»Vollkommen sicher«, gab Parker würdevoll zurück. »Sie hätten keinen besseren Platz aussuchen können. Wieviel darf ich Ihnen bezahlen?«

Der Fahrer nannte den Preis und riß die Augen weit auf, als Parker ihm zudem noch ein gehöriges Trinkgeld reichte. Dann beeilte er sich, zurück in seinen Wagen zu kommen, um schleunigst loszufahren. Wahrscheinlich fürchtete er, Parker könnte ihn noch einmal zurückrufen und ihm das handfeste Trinkgeld abnehmen.

Der Butler sah dem davonpreschenden Taxi nach und ging auf die erste, sanft ansteigende Düne zu. Zu diesem Zeitpunkt war von dem grauen Buick weit und breit nichts zu sehen. Entweder hatte Parker sich nun doch getäuscht, oder der Wagen war an einer verborgenen Stelle abgestellt worden.

Parker hatte den Kamm der Düne erreicht und sah auf den Strand hinunter, gegen den die Wogen des Atlantik Sturm liefen. Ein wunderschönes Bild, voller Kraft und gleichzeitiger Ruhe und Stetigkeit.

Parker sah die Gelegenheit gekommen, sich in aller Ruhe einen seiner schwarzen Torpedos anzuzünden. Mit Umsicht und Bedachtsamkeit präparierte er eine der Zigarren, die er dem schwarzen Etui entnommen hatte, zündete sie geschickt an und genoß den seiner ehrlichen Ansicht nach würzigen Duft dieser Importe.

Zwei leichtsinnige Möven, die neugierig einkurvten, um den einsamen Besucher genauer unter die Lupe zu nehmen, waren vollkommen anderer Ansicht.

Die ersten Rauchschwaden der Zigarre schwebten hoch in die Luft und wurden vom Wind zerteilt. Nur wenige Duftpartikelchen dieser Rauchwolke trafen die Nasenlöcher dieser beiden Möven, die als durchaus hart gelten konnten.

Sie schreckten förmlich zurück, steilten hoch und brachen in klagende Schreie aus. Sie verloren für wenige Augenblicke die Konzentration, wirbelten durcheinander und wandten sich dann zur Flucht. Im Tiefflug schossen sie auf die See hinaus und verschwanden am Horizont.

Parker sah diesen beiden Tieren kopfschüttelnd nach. Wieder einmal konnte er es einfach nicht verstehen, warum der Rauch seiner Zigarre alle Kreatur umgehend in die Flucht zwang, während er seine Zigarre tatsächlich genoß.

Seine Überraschung weitete sich aus, als plötzlich ein dumpfes, unangenehmes »Plopp« zu hören war.

Dicht neben ihm schlug ein schallgedämpftes Bleigeschoß in den aufstäubenden Sand und ließ eine kleine Fontäne von Sandkörnern in die Luft steigen.

Parker sah sich genötigt, erst einmal in Deckung zu gehen, denn einen zweiten, besser gezielten Schuß wollte er nicht unnötig provozieren. Er verschwand hinter der Düne und wartete ab.

Bald darauf waren verwehte Stimmen zu hören.

Sie kamen schnell näher und wurden von Sekunde zu Sekunde immer deutlicher. Zwei Männer riefen sich Hinweise zu, munterten sich gegenseitig auf und gaben der Hoffnung Ausdruck, daß sie den ›Hund‹ bald hätten.

Parker mißbilligte solch eine rüde Ausdrucksweise, denn er wußte inzwischen nur zu gut, wer mit dem Ausdruck ›Hund‹ nur gemeint sein konnte.

Es gab also zwei Männer, die ihn aus unverständlichen Gründen nicht nur nicht mochten, sondern die alles daransetzten, ihn zu erschießen.

Parker verfügte zu seinem Leidwesen nicht über eine Schußwaffe. Als Urlauber hatte er sich diesmal nicht mit diesen notwendigen Utensilien versorgt und eingedeckt. Doch er war und blieb guten Mutes, zumal nicht weit von seiner Düne entfernt einige Strandhütten zu sehen waren, die unbewohnt zu sein schienen.

Alle Deckung, die sich hier anbot geschickt ausnützend, erreichte er schon recht bald eine dieser Hütten und blieb hinter ihr abwartend stehen.

Er sah nicht nur die Spuren im feinen, körnigen Sand, die er hinterlassen hatte, sondern auch die beiden Männer, die wie zwei vorsichtige und mißtrauische Füchse sich heranpirschten.

Sie hatten es relativ einfach. Nicht nur, weil sie bewaffnet waren, sondern weil sie sich nur an die Spuren im Sand zu halten brauchten, um auf Parker zu stoßen.

Parkers Hirn registrierte diesen Nachteil, um ihn dann aber sofort in seinen Plan einzubauen.

Er verließ sein Versteck hinter der ersten Hütte, prägte weitere Spuren in den Sand und verschwand hinter der zweiten und dann hinter der dritten, niedrigen, einfachen Hütte, die praktisch nur aus gehobelten Brettern zusammengeschlagen worden waren.

Dann aber wechselte er zurück zur zweiten Hütte und achtete darauf, nicht in das Blickfeld der beiden Verfolger zu geraten. Mit dem Universal-Regenschirm beseitigte er die Spuren dieses Rückmarsches und blieb seitlich hinter der zweiten Hütte stehen.

Wenige Minuten später waren die beiden Männer heran.

Parker hörte ihre Stimmen.

»Die Spuren gehen weiter«, sagte der erste Verfolger.

»Na, wenn schon«, erwiderte der zweite Mann und lachte leise und geringschätzig auf, »ich möcht’ wissen, welche Chancen sich der noch ausrechnet. Hier ist außer uns weit und breit kein Mensch!«

»Beeilen wir uns«, schlug der erste Verfolger ungeduldig vor. »Je schneller wir ihn haben, desto besser. Ich möchte nur wissen, warum Henderson ausgerechnet hierher in die Dünen gefahren ist!«

»Weiß ich doch nicht«, war die Antwort.

»Ob da vielleicht irgendein Trick dahintersteckt?« fragte sich der erste Verfolger und achtete dabei kaum auf die Regeln seiner Muttersprache.

»Mann …« Mehr hatte sein Partner darauf nicht zu sagen, doch dieses eine Wort besagte mehr als ein ganzer Satz.

»Ich glaube, wir trennen uns und nehmen Henderson in die Zange«, schlug der erste Verfolger vor. »Henderson kann schießen, das wissen wir!«

Josuah Parker, der nun genau wußte, daß er mit irgendeinem Mr. Henderson verwechselt wurde, hörte das Knirschen von Sand. Kurz darauf erschien einer der beiden Verfolger an der Ecke der Hütte.

Parker, der schnell um die nächste Hüttenecke verschwand, ließ sich noch nicht blicken.

Dafür sah er den zweiten Mann, der bereits ahnungslos auf die dritte Hütte zuhielt. Er rechnete augenscheinlich mit bösen Zwischenfällen, denn er hielt seine Schußwaffe – es handelte sich um eine 45er – schußbereit in der Hand.

Der Mann aber, der sich Parker ahnungslos näherte, kam um die Ecke der Holzhütte und stand plötzlich seinem Opfer gegenüber.

Parker war es zwar peinlich, doch er mußte mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Regenschirms kurz und nachdrücklich zuschlagen.

Der Verfolger fand nicht mehr die Zeit, einen Schrei auszustoßen. Er riß weit die Augen auf, ließ sie überrascht rollen, um dann besinnungslos in sich zusammenzubrechen. Malerisch legte er sich zu Parkers Füßen nieder.

Der Butler nahm dankbar die Magnum aus der Hand des Verfolgers und machte sich daran, die Taschen des Schlafenden zu visitieren. Er fand einen 38er und eine Brieftasche, beides Dinge, die Parker ohne Gewissensbisse einsteckte.

Dann widmete er sich dem ersten Verfolger, der inzwischen die dritte Hütte erreicht hatte und sich nun ratlos umdrehte. Er hatte nämlich weder Parker noch weitere Spuren im Sand zu entdecken vermocht.

*

Der Verfolger blieb einen Moment lang verblüfft stehen. Dann kam er zögernd zurück zur zweiten Hütte.

»He, Mike, der Kerl ist verschwunden«, rief er seinem immer noch bewußtlosen Partner zu, den er hinter der Hütte vermutete.

Parker konnte nicht gut antworten, denn dies hätte Aufsehen und Mißtrauen erregen können. Er begnügte sich also mit einem undeutlichen Hüsteln und baute sich hinter der Hüttenecke auf.

Der Verfolger fiel auf diesen wirklich sehr einfachen Trick herein.

»Ich wette, der hat sich in der Hütte versteckt«, rief der Ankommende. »Dem werden wir es mal zeigen … Ich denke, wir stecken den ganzen Laden in Brand.«

»So etwas muß ich rüde und wenig vornehm nennen«, antwortete der Butler, der aus seinem Versteck hervortrat.

Der Verfolger bekam so etwas wie eine mittelschwere Maulsperre, zumal er zu Parkers Füßen seinen Partner entdeckte. Er war derart überrascht, daß er glatt vergaß, sich seiner Handfeuerwaffe zu bedienen. Als er sich an diese Möglichkeit erinnerte, war es auch für ihn bereits zu spät.

Parkers Regenschirm trat erneut in Aktion.

Der Verfolger erhielt einen bösen Schlag auf das Handgelenk und verlor seine Waffe. Doch diesmal versuchte er es mit einem fast wütend zu nennenden Ausfall. Er sprang den Butler so jäh und unbeherrscht an, daß alle Vorteile auf seiner Seite waren.

Parker, jeder Auseinandersetzung abhold, trat jedoch einen halben Schritt zur Seite und ließ den Angreifer an sich vorbeizischen. Der Gangster vermochte seinen Schwung nicht mehr abzubremsen und rammte die Bretterwand, die sich daraufhin als äußerst brüchig erwies und nachgab.

Die Bretter rutschten von den Querbalken herunter und ließen den Gangster eintreten. Der Verfolger verschwand in einer Wolke von Staub und landete in der Hütte. Dort schien er mit Gegenständen aus Glas oder Porzellan in Berührung gekommen zu sein, denn das typische Bersten und Klirren zerbrechenden Glases drang nach draußen.

Parker schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

Das hatte er nun wirklich nicht gewollt. Es zeigte sich wieder einmal, daß blinder Eifer tatsächlich nur schadete. Parker hob auch die zweite Waffe auf und wartete geduldig, bis der Gangster wieder vor der Hütte erschien.

Es dauerte fast anderthalb Minuten, bis der Gangster hervorkletterte. Seine Augen waren noch leicht verglast. Torkelnd wie ein Betrunkener trat er über die Brettertrümmer ins Freie, stierte den Butler ungläubig an und ließ sich erschöpft auf dem sandigen Boden nieder.

»Wenn Sie dazu in der Lage sind, sollten Sie mir einige Fragen beantworten«, meinte Parker höflich.

»Geh’ zum Teufel, Henderson«, antwortete der Gangster, dessen Stimme sich erholte.

»Sie bestehen hoffentlich nicht darauf, daß ich Ihren Wünschen nachkomme«, erwiderte Parker. »Darf man höflichst fragen, warum Sie mich unbedingt erschießen wollten?«

»Wir sprechen uns noch«, giftete sich der Gangster, der langsam wieder klar zu denken vermochte.

»Tun wir das nicht bereits?« wunderte sich Parker erstaunt. »Warum sollte ich erschossen werden? Ich bin mir keiner Schuld bewußt, wenigstens nicht Ihnen gegenüber!«

»Quatschen Sie doch nicht, Henderson«, antwortete der Gangster und fuhr sich durch das schweißnasse Gesicht. »Sie wissen doch genau, was Manters Ihnen geliefert hat.«

»Ist Manters jener Unglückliche, der von Ihnen draußen vor der Bar erschossen wurde?«

Der Gangster lächelte schief.

»Darf ich Ihr etwas verunglücktes Lächeln als eine Antwort im positiven Sinn werten?« fragte Parker.

»Wir sind ja unter uns, also werten Sie!« Der Gangster erhob sich vorsichtig. »Wir haben die ganze Zeit über geahnt, daß Manters ein doppeltes Spiel treibt.«

»Wie aufschlußreich«, gab Parker zurück. »Mr. Manters hat also in Wirklichkeit mit mir zusammengearbeitet?«

»Mit Ihnen?« Der Gangster warf Parker einen verächtlichen Blick zu. »Sie, Henderson, sind doch nichts anderes als ein Briefträger!«

»Nichts gegen die Briefträger«, beugte Parker vor. »Sie erfüllen einen wichtigen Zweck in unserer Gesellschaft.«

»Und sie müssen sterben, wenn sie gewisse Post an die falsche Adresse bringen«, meinte der Gangster.

»Könnte man sich nicht vielleicht arrangieren?« fragte der Butler an. »Oder, um mich noch deutlicher auszudrücken, könnte man nicht zu einer friedlichen Einigung kommen?«

»Und wie stellen Sie sich die vor, Henderson?«

»Nun, ich denke an jene Unterlagen, die Mr. Manters mir überbracht hat.«

»Sie … Sie würden das Zeug an uns zurückgeben?« Der Gangster wunderte sich und leckte sich die Lippen. Er witterte augenscheinlich ein gutes Geschäft.

»Ich bin nicht abgeneigt«, redete der Butler weiter. »Sie müßten mir, wie es so heißt, ein Angebot unterbreiten, falls Sie überhaupt dafür kompetent sind.«

»Zehntausend bar, wenn wir Manters’ Unterlagen bekommen.«

»Sie dürften vergessen haben, wie teuer das Leben ist«, meinte Parker würdevoll. »Denken Sie an die monatliche Miete, an die Steuern, an die täglichen Ausgaben für Kleidung und Ernährung.«

»Fünfzehntausend!«

»Sie begreifen wahrscheinlich immer noch nicht, wie ungemein teuer das Leben ist!«

»Wieviel also? Machen Sie ein Angebot, Henderson.«

»Ich würde fünfzigtausend sagen, wenn ich so frei sein darf!«

»Sie sind verrückt.«

»Ich bin das, was man Realist nennt.«

»Gegen fünfzig Mille würden Sie die Unterlagen zurückgeben?«

»Ich bin fast fest entschlossen dazu«, meinte Parker zurückhaltend.

»Dann werden wir wahrscheinlich ins Geschäft kommen.« Der Gangster gewann an Sicherheit.

»Wann kann ich über das Geld verfügen?« erkundigte sich der Butler.

»Heute noch. Vorher muß ich aber mit dem Chef reden.«

»Ich habe wahrlich nichts dagegen.«

»Hören Sie, Henderson, wenn Sie aber glauben, uns mit einem faulen Trick kommen zu können, sind Sie auf dem Holzweg.«

»Sie trauen mir nicht, wie ich aus Ihren Worten heraushöre!«

»Natürlich nicht, Henderson. Für Ihre faulen Tricks sind Sie zu bekannt.«

»Darf ich Ihre Worte als Kompliment auffassen?« Parker lächelte andeutungsweise. »Und wie stellen Sie sich den Austausch des Geldes gegen die Unterlagen vor?«

»Passen Sie auf, Henderson. Wir fahren zurück in die Stadt. Sie warten im Hotel auf das Geld, dann läuft alles wie am Schnürchen.«

»Sie werden mich doch nicht enttäuschen?«

»Sehen wir so aus? Sie wissen doch, daß unser Boß in Ordnung ist.«

»Von meinem Boß, wie Sie sich ausdrücken, haben Sie bisher aber nicht gesprochen.« Parker blieb zurückhaltend und vorsichtig. Thematisch gesehen befand er sich trotz der Hitze auf sehr rutschigem Glatteis. Er hatte keine Ahnung, worum sich diese Unterhaltung drehte. Er ahnte nur, daß es um dunkle und auch sehr mörderische Geschäfte ging.

»Wie Sie mit Ihrem Boß klarkommen, Henderson, ist Ihre Sache. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag.«

»Ich höre interessiert zu.«

»Sobald Sie das Geld haben, sollten Sie verschwinden. Die Welt ist groß genug. Ich würde nur nicht zurück nach London gehen.«

»Ich weiß, Sie denken an den Londoner Nebel, der tatsächlich berüchtigt ist.«

»An wen oder was Sie denken, Henderson, ist Ihre Sache! Also, fahren wir nun oder nicht?«

»Wird Ihr Partner Mike mit Ihren Vorschlägen einverstanden sein?« Parker wies auf den Gangster, der noch immer im Sand lag, sich jetzt aber zu rühren begann.

Er öffnete ratlos die Augen, suchte in seiner gestörten Erinnerung nach gewissen Anhalts- und Richtpunkten, um dann wie von einer Tarantel gebissen aufzuspringen.

»Wo ist der Hund, Joe?« rief er seinem Partner zu. Dann entdeckte er Parker schräg neben sich und zog unwillkürlich den Kopf ein.

»Ich hoffe, Sie werden im Laufe der Zeit den peinlichen Niederschlag vergessen«, sagte Parker freundlich. »Wie ich die Dinge jetzt sehe, hat es sich um ein kleines, bedauernswertes Mißverständnis gehandelt.«

»Wir gehen«, sagte Joe, jener Gangster, der mit Parker die Verhandlung geführt hatte. »Während der Fahrt können wir alle Einzelheiten festlegen. Wie ist es, Henderson, bekommen wir unsere Kanonen zurück?«

»Selbstverständlich«, antwortete Parker darauf höflich. »Ich habe es ja jetzt mit Geschäftsfreunden zu tun.«

Er überreichte Mike und Joe die Schußwaffen, eine Handlungsweise, die die beiden Gangster völlig verblüffte.

Im ersten Augenblick wußten sie mit ihren zurückgewonnenen Waffen nichts anzufangen. Solch eine Großzügigkeit hatten sie gewiß nicht erwartet.

Dann jedoch schalteten sie.

Fast gleichzeitig rissen sie ihre Schußwaffen hoch und richteten die Mündungen auf Parker.

»Man kann noch so gerissen sein, Henderson, eines Tages macht man den berühmten Fehler«, sagte Mike grinsend. »Was glauben Sie, werden wir jetzt tun?«

»Abdrücken und erleben, daß ich beide Waffen entladen habe«, war die lakonische, aber freundliche Antwort des Butlers.

Die beiden Gangster glaubten ihm nicht recht.

Sie zogen die Stecher ihrer Waffen durch und mußten erleben, daß Parker nicht geschwindelt hatte. Mit dem Geschick eines berufsmäßigen Taschenspielers hatte der Butler die Waffen entladen.

Ziemlich dumm schauten Mike und Joe auf ihre Waffen. Mike war sogar etwas verlegen.

»Man macht ja mal einen Scherz«, entschuldigte er sich dann hastig.

»Ich freue mich über Ihre gute Laune«, entgegnete der Butler. »Sie ist die Basis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit, wie ich es ausdrücken möchte!«

*

Etwa zu dieser Stunde entdeckten Touristen, die am Rand des Highways Nr. 1 in Höhe der Ortschaft Boca Raton picknickten, durch einen reinen Zufall einen Ford, der offensichtlich von der Straße abgekommen war und nun halb in einem sumpfigen Tümpel lag.

Die Touristen sahen sich den verunglückten Wagen jetzt etwas näher an, zumal es sich ihrer Ansicht nach um einen frischen Unfall handeln mußte. Sie wateten durch das seichte Wasser, erreichten dann die Limousine und schraken zurück.

Am Steuer des Fords machten sie eine Gestalt aus, die sich nicht mehr rührte.

Diese Gestalt war mittelgroß, mochte Mitte der Vierzig sein und trug einen dunklen, fast schwarzen Anzug. Die Kopfbedeckung des Verunglückten stak in der zersplitterten Windschutzscheibe. Es handelte sich um einen Bowler, wie er in England mit Vorliebe getragen wird.

Die Touristen wollten sich bereits zurückziehen und zur Straße laufen, als die Gestalt am Steuer sich rührte und dann stöhnte.

Nun waren die Touristen nicht mehr zu halten. Sie mühten sich mit der verklemmten Wagentür ab und brachten sie endlich auf. Dann bargen sie den Verunglückten, trugen ihn an das sanft ansteigende Ufer des Tümpels und betteten ihn dort nieder.

Betroffen schauten sie auf den Mann, der offensichtlich schwer verletzt war.

Sie dachten gleich an einen Ausländer, denn der Verletzte war mehr als korrekt gekleidet: Erschien frisch aus London gekommen zu sein. Äußerlich gesehen glich er fast einem steifen Filmbutler, wie er in Komödien immer wieder gern gezeigt wird. Der einzige Farbtupfer an seiner fast düsteren Kleidung war eine rote Nelke, die im Knopfloch stak und nun allerdings einen sehr mitgenommenen und verwelkten Eindruck machte.

Während einer der Touristen zur Straße lief, um die Polizei zu alarmieren, suchte der andere Tourist in den Taschen des Verletzten nach Anhaltspunkten zur Person.

Er fand in der Brieftasche einen Reisepaß, der in England ausgestellt worden war. Dieser Paß lautete auf den Namen James Henderson, dessen Wohnort mit London, Westham-Road, 123. angegeben war.

Bevor der Tourist die Brieftasche weiter durchsuchen konnte, gab der Verletzte die ersten Worte von sich. Stöhnend, nach Luft ringend und von Schmerzen geschüttelt, sprach der Verletzte einen Namen aus. Er hörte sich nach Manders oder Manters an, doch so genau war das nicht zu verstehen.

Erst als der Verletzte wieder zurück in eine wohltätige Ohnmacht gefallen war, konnte der Tourist die Suche in der Brieftasche fortsetzen.

Er fand eine Flugkarte London – New York – Jacksonville und zurück, dann Travellerschecks in einer Gesamthöhe von eintausendzweihundert Dollar, den Ausweis einer Mietwagenfirma und einige bezahlte Rechnungen, die alle vom Vortage stammten.

Die Sache war klar. Mr. James Henderson, Londoner, war von Jacksonville aus mit einem Leihwagen über den Highway Nr. 1 in Richtung Miami gefahren und unterwegs verunglückt. Es handelte sich offensichtlich um einen Touristen.

Um einen sehr vorsichtigen und mißtrauischen Touristen übrigens, denn unter seinem schwarzen Jackett befand sich ein Schulterhalfter, in dem eine geladene und gesicherte 38er stak.

*

Die Fahrt zurück nach Miami verlief ohne Zwischenfälle.

Josuah Parker saß auf den Rückpolstern des Wagens, während die beiden Gangster Mike und Joe vorn Platz genommen hatten. Parker hatte so die Möglichkeit, sie diskret zu beobachten. Ihm war keineswegs danach, doch noch beschossen zu werden.

Nun, Mike und Joe hatten im Augenblick nicht diese Absicht. Das hing nicht mit ihren ungeladenen Schußwaffen zusammen. Sie rechneten sich wohl eine reelle Chance aus, an die Unterlagen zu kommen, die sie bei Parker vermuteten.

Der Butler saß wie gewohnt stocksteif im Fond des Wagens. Er überlegte gründlich, wie er sich verhalten sollte. Er ging von der Tatsache aus, daß er nach Miami gekommen war, um sich hier einmal gründlich zu erholen.

Nun aber hatte das Schicksal ihn mit einem Mord und zwei Mördern konfrontiert. Durfte er, so fragte er sich, von all diesen Dingen zurückziehen. Stand es ihm frei, sich aus allem herauszuhalten?

Parker hatte gewiß die Möglichkeit, sich an die Polizei zu wenden. Er hatte ferner die Möglichkeit, sich dann schleunigst abzusetzen und friedlichere Gefilde irgendwo in den Staaten aufzusuchen.

Je gründlicher er sein Problem durchdachte, desto klarer wurde ihm, daß er sich wieder einmal persönlich engagieren mußte. Es widersprach seinem Gerechtigkeitsgefühl, Augen und Ohren vor den nackten Tatsachen zu verschließen. Er fühlte sich verpflichtet, Gangstern das blutige Handwerk zu legen, zumal er gerade in diesem Fall annehmen mußte, daß er es nicht mit kleinen Durchschnittsgaunern zu tun hatte.

Als Miami erreicht war, war der Butler zu einem Entschluß gekommen.

»Wo setzen wir Sie ab, Henderson?« fragte Mike, der am Steuer saß.

»Vor meinem Hotel selbstverständlich«, gab Parker vorsichtig zurück. »Oder haben Sie sich meinen Vorschlag inzwischen anders überlegt?«

»Sie etwa, Henderson?«

»Mitnichten«, gab der Butler zurück, der sich an den Namen Henderson bereits gewöhnte. »Darf ich fragen, wie wir es halten sollen? Warten Sie zusammen im Hotel mit mir auf das Geld?«

»Ich werde für ’nen kurzen Moment verschwinden«, sagte Mike. »Joe kann Ihnen Gesellschaft leisten.«

Mike fuhr wieder an und hielt dann vor einem Appartementhotel, das in einer Seitenstraße lag und »Miramare« hieß. Das Hotel, ein Neubau übrigens, lag genau in jener Gasse, in der Henry Manters nach dem Verlassen der Bar und nach seiner kurzen Unterhaltung mit Parker erschossen worden war.

Parker begriff nun, wieso es zu der Verwechslung gekommen war. Mike und Joe mußten Manters beobachtet und beschattet haben. Manters mußte seinerseits auf jenen bewußten Mr. Henderson gewartet haben, um ihm dann in die nahegelegene Bar zu folgen. So war es zu dieser ebenso interessanten wie auch gefährlichen Verwechslung gekommen.

Parker und Joe stiegen aus, während Mike sofort wieder losfuhr. Er hatte es wohl sehr eilig, zu seinem Chef zu kommen, um sich mit ihm zu beraten.

»Ich denke, wir bleiben in der Halle«, schlug Parker vor, nachdem er zusammen mit Joe das Appartementhotel betreten hatte. Parker wußte nichts von und über den richtigen Mr. James Henderson. Ihm war selbstverständlich auch unbekannt, ob Henderson tatsächlich im »Miramare« wohnte und wo er sich zur Zeit aufhielt.

»Nichts gegen einzuwenden, Henderson«, gab Joe gelassen zurück. »Ich glaube, Sie haben sich die Sache mit dem Austausch verdammt gut überlegt.«

»Ich schließe mich Ihrer Meinung an«, antwortete der Butler. »Hoffentlich denkt auch Ihr Chef so, wenn ich mich so ausdrücken darf.«

»Mr. X …?«

»Genau ihn meine ich«, sagte Parker vorsichtig.

»Darauf können Sie sich verlassen.«

Joe nickte nachdrücklich. »Der Chef ist an Ärger nicht interessiert.«

»Sie kennen ihn näher?« erkundigte sich Parker angelegentlich.

»Wie man’s nimmt«, war die vage und ausweichende Antwort.

»Er soll sich sehr zurückhalten«, tippte Parker weiter an. Er wollte endlich in Erfahrung bringen, wer dieser Mr. X nun eigentlich war.

»Und ob der Chef sich zurückhält«, gab Joe zurück. »Aber er weiß trotzdem verdammt genau, was gespielt wird!«

»Er ahnte also, daß Henry Manters abspringen wollte?« Parker hoffte, auf der richtigen Fährte zu sein.

»Wir sind ja unter uns«, meinte Joe vertraulich. »Manters war ’ne Enttäuschung für uns. Er hätte uns beinahe aufs Kreuz gelegt.«

»Er genoß also das Vertrauen Ihres Chefs?«

»Kann man wohl sagen, sonst hätte er sich ja nicht die Unterlagen unter den Nagel reißen können. Aber in letzter Minute wurde er mißtrauisch und kontrollierte den Safe. Tja, und da kam die ganze Geschichte heraus!«

»Welch ein Pech für den armen, bedauernswerten Manters«, räumte der Butler ein.

»Welch ein Pech für euch«, spottete Joe auflachend. »Um ein Haar hättet ihr die Unterlagen gehabt. Aber wir waren eben schneller!«

»Darf ich Sie auf eine gewisse Unterlassungssünde hinweisen?« bat Parker höflich.

»Und das wäre?«

»Sie wollten mich erschießen. Nein, nein, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie hatten schließlich den Auftrag dazu. Aber warum interessierten Sie sich nicht für die Unterlagen? Nach meinem Tod hätten Sie sie ja niemals gefunden.«

»Da haben Sie Mike und mich aber mißverstanden«, entgegnete Joe und schüttelte den Kopf.

»Schön, wir wollten und sollten schießen, aber Sie nur aus dem Verkehr ziehen, Henderson. Wir hätten Sie schon abgeschleppt und dann zum Reden gebracht.«

»Das beruhigt mich, ich dachte schon an eine gewisse Unlogik in Ihrer Handlungsweise!«

»Hoffentlich bleiben Sie auch so ruhig, Henderson.«

»Wie darf ich Ihre Andeutung auslegen?« wollte Parker wissen.

»Na ja, werden Sie keinen Ärger bekommen, wenn Sie ohne Unterlagen in London aufkreuzen?«

»Sind Sie tatsächlich der Meinung, daß ich zurück nach London fahren werde?«

»Würde ich Ihnen auch nicht raten, Henderson. Wenn Sie mich fragen, würde ich mich irgendwo hier in den Staaten verkriechen. Das ist sicherer für Sie.«

»Ihr Mitgefühl schmeichelt mir«, gestand Parker.

»Na ja, wir arbeiten schließlich in der gleichen Branche«, meinte Joe mitteilsam. »Man weiß ja, wie schwer man es hat. Manchmal ekelt mich der ganze Betrieb richtig an.«

»Sie sprechen mir fast aus dem Herzen«, entgegnete der Butler fast gerührt. »Ich könnte mir durchaus ein ruhigeres Leben vorstellen.«

»Warum steigen wir nicht einfach aus und lassen diesen ganzen Rummel?«

»Eine Frage, die ich mir schon häufiger gestellt habe.«

»Irgendwo ein Lokal oder ein kleines Geschäft, und man hätte endlich seine Ruhe und brauchte nicht herumzuhetzen.«

»Wir stecken zu tief in gewissen Dingen«, deutete Parker vage an, doch er hätte nicht sagen können, um welche Dinge es sich handelte.

»Dafür verdient man natürlich ganz schön«, erklärte Joe träumerisch.

»Das allerdings, der Wahrheit die Ehre«, räumte nun auch Parker schleunigst ein. »Das Berufsrisiko wird erstaunlich gut honoriert.«

»Deswegen werde ich auch dabei bleiben«, meinte Joe. »Und wenn man nur einigermaßen auf Draht ist, kann einem kaum was passieren.«

Er hatte seinen Satz gerade beendet, als er irritiert zur Seite schaute. Ein junger Mann, er mochte knapp fünfundzwanzig Jahre alt sein, trat an die Sitzgruppe heran, in der Joe und Parker saßen.

Dieser junge Mann deutete auf die Zeitschriften und Magazine, die auf dem niedrigen Rauchtisch herumlagen.

»Darf ich mal?« erkundigte er sich.

»Aber selbstverständlich«, antwortete der Butler höflich. »Bedienen Sie sich nur!«

Der junge Mann beugte sich vor und griff nach einer Zeitschrift. Gleichzeitig hatte er plötzlich ein Zigarettenetui in der Hand, das er auf springen ließ.

Joe sah den jungen Mann völlig überrascht an.

Sein Mund öffnete sich, als wollte er etwas sagen, doch dann sackte Joe leicht in sich zusammen und entspannte sich in seinem tiefen Sessel.

»Los, stehen Sie auf, mitkommen, sonst sind auch Sie dran«, sagte der junge Mann lächelnd zu Parker.

»Wie bitte?« Parker verstand nicht ganz.

»Stehen Sie unauffällig auf und gehen Sie raus auf die Straße«, sagte der lächelnde junge Mann, dessen Stimme jetzt tödliche Kälte verspüren ließ. »Oder soll ich Sie wie diesen Spitzel abknallen?«

Parker war in der Tat etwas verwirrt, begriff aber sehr schnell.

Ein schneller Blick hinüber zu Joe sagte ihm, daß sein Gesprächspartner schon nicht mehr lebte. Joes Prognose, ihm könne kaum etwas passieren, hatte sich also innerhalb weniger Sekunden als falsch erwiesen.

Parker stand auf.

»Gehen Sie endlich!« sagte die kalte Stimme des fröhlichen jungen Mannes.

Parker griff schleunigst nach Regenschirm und Melone und setzte sich überraschend gehorsam in Marsch. Er wußte plötzlich, daß der junge Mann keineswegs bluffte.

Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, ging der Butler auf die Glastür der Halle zu.

Der junge Mann befand sich jetzt neben ihm. Er deutete mit der Kinnspitze auf einen Wagen, der am Straßenrand parkte.

»Einsteigen«, sagte der junge Mann.

»Sind Sie sicher, daß Sie mich meinen?« erkundigte sich Parker.

»Machen Sie schon!«

Parker nickte und ging auf den Wagen zu. Im Näherkommen sah er, daß am Steuer ein zweiter, etwas älterer Mann saß, er ihm keinen einzigen Blick gönnte.

Parker nahm im Fond des Wagens Platz. Der junge Mann setzte sich dicht neben Parker und lächelte dünn.

»Los!« rief er dem Fahrer zu. »Ziel wie abgesprochen. Nicht zu schnell, wir wollen nicht auffallen!«

Dann wandte er sich an Parker und grinste.

»Überrascht, was?« fragte er.