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Wyatt Earp
– Box 1 –

E-Book 1-5

William Mark
Mark William

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-456-1

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Er kam vom Missouri

Er kam vom Missouri

Western von William Mark

Es war der 18. August 1872. Die kleine Kansas-Stadt Ellsworth sollte diesen Tag nie vergessen. Er ist noch heute in ihren Annalen verzeichnet.

Die vierspännige Overland-Postkutsche, die von Salina aus das weite Knie des Kansas-River auf einer schnurgeraden Straße nach Westen abgeschnitten hatte, polterte unter einer Glocke von Staub in die Mainstreet von Ellsworth ein.

Der Fahrer, ein völlig mit mehlfeinem Staub bedeckter, hochgewachsener junger Mann, zog die Zügelleinen an und brachte das knarrende Gefährt zum Stehen. Verwundert blickte er sich um.

Die Straße war menschenleer.

»He! Was hat das denn zu bedeuten?«

Der Mann zurrte die Leinen fest und rutschte vom Kutschbock. Wieder sah er sich um.

Aber die Mainstreet blieb leer. Wie ausgefegt lagen die Stepwalks da. Auch an den Fenstern war niemand zu sehen.

Drüben, hinter der bastgeflochtenen Pendeltür des sonst so betriebsamen Smoky-Saloons, herrschte gähnende Stille.

Der Mann rieb sich übers Kinn, klopfte sich den Staub von Ärmel und Hose, stieg die drei Stufen zum Vorbau hinauf und ging mit harten, sporenklirrenden Schritten auf das Sheriff Office zu.

Ehe er die Tür öffnete, warf er noch einen Blick über die Straße.

Nichts rührte sich.

Die Sonne stand hoch im Zenit und schleuderte eine Bruthitze auf die Häuser.

Der Mann stieß die Tür zum Office auf.

Der kleine Raum war zum Bersten voll. Gutgekleidete Bürger, Männer in Weidekleidung, rauhe, harte Gesichter.

Gleich neben der Tür stand der ­baumlange Mann mit dem Stern, Cecil Whitney, der Sheriff. Er schien den Postfahrer zu kennen und warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu. Dann sah er wieder durch eine Gardinenritze auf die Straße hinaus.

Der junge Mann blickte verwundert auf die stumme Versammlung. Dann stieß er den Sheriff an.

»He, was ist los, Mister Whitney?«

Der Sheriff sah ihn wieder nur kurz an.

»Es ist gut, daß Sie von der Straße gekommen sind…«

»Was gibt’s denn hier? Die Straße ist ja wie ausgekehrt.«

Einer der Männer, ein beleibter, gewichtiger Mensch mit rotem Gesicht, fuhr sich über seine zitronengelbe Weste und nestelte an seiner schweren goldenen Uhrkette.

»Was los ist, Mann? Die Hölle ist los! Warten Sie nur ab.«

In diesem Augenblick krachten draußen mehrere Schüsse.

Der Postfahrer schob sich neben den Sheriff ans Fenster.

»Nicht!« wehrte der ungehalten ab. »Lassen Sie die Gardinen, wo sie sind. Wenn er sieht, daß sich hier was bewegt, kommt er am Ende rüber!«

»Wer denn, zum Teufel?«

Der Dicke mit der zitronengelben Weste blickte düster zum Fenster hinüber. Seine fleischigen Hände mit den kurzen Fingern zitterten.

»Zwölf Meilen südlich vor der Stadt stehen über siebenhundert Kuhtreiber«, sagte er dumpf in die Stille hinein. »Sie sind mit den Herden angekommen. Um dem Ansturm in der Stadt begegnen zu können, haben wir Verstärkung für den Sheriff angeworben. Brocky Jack Norton ist als Marshal hier –«

»Jack Norton?« fragte der Postfahrer verblüfft. »Der Schießer aus Texas?«

»Ja, genau der. Er wird mit den Cow­boys am besten umgehen können.«

»Und wer ist drüben in Smokys Saloon?«

Der junge Postfahrer wandte sich an den Dicken.

»Sind Sie nicht der Bürgermeister?«

»Doch«, keuchte der Mann asthmatisch und rieb sich den Schweiß von der Stirn, »doch, ich bin der Mayor. Leider!«

»Wo ist Norton?«

Über die Gesichter der Männer lief ein verzweifeltes Grinsen.

»Wo soll er sein?« knurrte der Sheriff. »Wo ein Marshal hingehört: auf der Straße.«

»Und drüben im Saloon ist Ben Thompson!« rief ein alter Mann mit pergamentfarbenem Gesicht und hellen Augen.

»Thompson?« fragte der Postfahrer und ließ den Mund offenstehen. »Heh – das ist ein Ding! Weshalb verhaftet der Marshal ihn nicht?«

Die Männer warfen dem Kutscher von der Overland einen verweisenden Blick zu.

Von der Stirn des Sheriffs rann der Schweiß in kleinen Bächen. Er schnallte seinen Waffengurt enger und ging zur Tür. Da blieb er noch einmal stehen und wandte sich um.

»Ich werde jetzt rüber in die Schmiede gehen und mit Norton sprechen. Er muß Ben Thompson verhaften.«

Die Männer nickten.

»Der Marshal steckt also drüben in der Schmiede?« fragte der Overland-Mann. »Ich dachte, er wäre auf der Straße?«

Whitney öffnete die Tür und ging quer über die Mainstreet.

Niemand im Office rührte sich.

Der Sheriff verschwand drüben in der Schmiede. Nach drei Minuten kam er zusammen mit einem großen, vierschrötigen Mann heraus, der einen Marshalstern trug; die beiden blickten nach Smokys Saloon hinüber, liefen dann aber im Sturmschritt über die Straße auf die Gasse zu, die neben dem Büro des Sheriffs auf die Mainstreet mündete.

In diesem Augenblick krachte über der Pendeltür von Smokys Saloon her ein Schuß.

Der Sheriff machte noch zwei stolpernde Schritte und brach dann vor der Gassenmündung zusammen.

Der Marshal rannte weiter, lief um den Gefängnistrakt herum und kam von hinten ins Sheriff Office.

Stumm und düster sahen ihm die Männer entgegen.

Jack Norton nahm sich den mißfarbenen Hut vom Kopf und wischte über das Schweißband.

»Whitney ist tot«, sagte er heiser.

Die Stille in dem kleinen Raum war erdrückend.

Da trat der Postfahrer auf den Bürgermeister zu.

»Eine tolle Polizei habt ihr hier!« sagte er spöttisch, wandte sich um und wollte zur Tür.

»Stop!« rief ihm der Marshal bellend nach.

Der Postfahrer blieb stehen.

»Was sollte das heißen?« knurrte Norton gallig.

Der Overland-Mann kam langsam auf ihn zu.

»Ich habe gesagt: Eine tolle Polizei habt ihr hier!«

Er hatte es klirrend gesagt, und seine tiefblauen Augen bohrten sich in den Blick des Marshals.

Der Bürgermeister wischte sich unentwegt mit einem riesigen Taschentuch übers Gesicht.

»Sie haben gut reden, Mann! Da draußen liegt der Sheriff…«

»Und da steht der Marshal!« stieß der Postfahrer durch die Zähne und wies mit dem ausgestreckten Arm auf Norton. »Die Stadt hat ihn angeworben, weil er als mutiger Mann bekannt gewesen ist. Er sollte siebenhundert wilde Cowboys zähmen. Drüben in der Kneipe ist nur ein einzelner Mann, den kann er nicht einmal verhaften.«

Die Männer blickten den Marshal an.

Der war grau geworden im Gesicht. Seine Unterlippe zitterte leicht.

»Ja, siebenhundert halbwilde Cowboys sind angekommen. Heute abend werden sie in der Stadt sein. Aber der Mann drüben im Saloon, das ist ein anderer; das ist ein Kerl, der anderthalbtausend Cowboys aufwiegt. Ben Thompson ist eine Bestie…«

Der Postfahrer wandte sich ab und feixte.

»Ich sagte ja: Ihr habt eine tolle Polizei hier!«

Damit wollte er zur Tür.

»Wo wollen Sie hin?« rief ihm der Mayor nach.

Der Mann von der Overland warf ihm einen erstaunten Blick zu.

»Na, hören Sie, Mayor – schließlich kann ich doch nicht mit meiner Karre hier bei euch Wurzeln schlagen.«

Der Bürgermeister wandte sich mit einem Ruck an den Marshal und fragte eisig:

»Wollen Sie Ben Thompson nun verhaften oder nicht?«

Norton schluckte. Es arbeitete heftig in seinem Gesicht; auf seiner Stirn perlten winzige Schweißtropfen. Jäh schüttelte er seinen kantigen Schädel.

»Nein, ich kann es nicht. Niemand kann es!«

»Also doch eine tolle Polizei!« höhnte der Postfahrer und riß die Tür auf, um zu seiner Kutsche zu gehen.

Der Bürgermeister rief ihm nach:

»Einen Augenblick noch!«

»Ich habe keine Zeit!« knurrte der junge Mann, blieb aber in der offenen Tür stehen.

Mayor Sefton Miller trat auf Jack Norton zu und riß ihm den Stern vom schweißdurchnäßten Hemd. Schweren Schrittes ging er auf den Postfahrer zu und nestelte ihm den Fünfzack an die Weste.

»Ich weiß, daß die Leute mich hier auslachen werden; aber es ist nun alles einerlei. Ich muß jede Chance nutzen. Auch die geringste. Und wenn einer das Maul weit aufreißt, muß man es ihm stopfen. Wie heißen Sie?«

Der Spott war aus dem Gesicht des Postfahrers gewichen. Tiefer Ernst stand in seinen Augen.

»Wyatt Earp«, sagte er ruhig.

»Well, Wyatt Earp. Wir haben eine schlechte Polizei, – das sagten Sie doch. Nun haben Sie den Stern: Gehen Sie rüber, und verhaften Sie Thompson!«

Ein schadenfrohes Grinsen stand im Gesicht des entlassenen Marshals.

Auch die anderen Männner verzogen die Mienen.

Der Bürgermeister hatte einen vorlauten Mann bestrafen wollen. Er traute jedoch seinen Augen nicht, als der junge Postfahrer sich jäh umwandte, sporenklirrend den Vorbau überquerte und auf Smokys Saloon zuhielt.

Die Männer starrten seiner hohen sehnigen Gestalt entgeistert nach.

Ein zwergenhaft kleiner Mann mit einer großen roten Nase stieß den Mayor an.

»Wie konnten Sie so etwas tun, Miller? Der Bursche weiß nicht, daß er in den Tod läuft!«

»Er wird die Strafe für sein großmäuliges Gerede bekommen«, zischte Norton grimmig.

Der rotnäsige Zwerg giftete ihn an:

»Ja, sicher, das wird er. Er geht, weil Sie ein Feigling sind!«

Die Hand des Texaners zuckte zum Colt.

Da rief der Bürgermeister, der eingesehen haben mochte, daß er höchstwahrscheinlich einen Wahnsinn begangen hatte:

»Da, seht euch das an! Er stiefelt tatsächlich auf den Eingang zu!«

Die Männer drängten ans Fenster und rissen rücksichtslos die Gardinen zur Seite.

»Es ist eine Schande!« krächzte der rotnäsige Zwerg.

*

Hochaufgerichtet stand Wyatt Earp in der Tür von Smokys Saloon.

Zehn Yards vor ihm lehnte ein mittelgroßer Mann mit dem Rücken an der Theke und sah verblüfft zu ihm hinüber. Gegen das gleißende Licht der Straße schnitt sich die Silhouette des Postfahrers riesengroß, tiefschwarz und drohend in die Türöffnung.

Der Mann an der Theke hatte ein breitflächiges Gesicht, aschblondes Haar und etwas zu weit auseinanderstehende gelbschimmernde kalte Augen. Hart schob sich sein Kinn nach vorn, auch die Backenknochen drängten nach draußen. Sein massiger Schädel ruhte fast halslos auf einem überaus kräftigen Körper. Die starken Hände hingen steif neben den beiden schweren Revolvern, die er tief auf den Oberschenkeln trug.

Jeder in Kansas kannte diesen Mann. Es war der Spieler Ben Thompson. Seit Jahren zog er, meist mit seinem Bruder Bill, von Stadt zu Stadt, beschäftigte sich mit einem peripatetischen Faro-Spiel, handelte hin und wieder mit Vieh, ließ aber todsicher überall da, wo er auftauchte, einen Kometenschweif von Unheil zurück.

Der Missourier war nur einen Augenblick stehengeblieben; dann ging er schnurstracks auf den Texaner zu, zog ihm den Colt aus dem Gurt, legte ihm die Rechte auf die Schulter, packte ihn am Arm und schob den völlig Verdutzten aus der Schenke hinaus auf den Vorbau.

*

Drüben im Sheriff Office flogen die Gardinen wieder vors Fenster.

Der Missourier schob Thompson weiter, die Treppe hinunter auf die Straße, genau auf das Sheriff Office zu. Er hielt nicht einen Augenblick inne, stieß die Tür auf und schob den Banditen auf eine offenstehende Zellentür zu, drückte den Mann hinein und warf die Tür ins Schloß.

Der Riegel knarrte. Wyatt Earp drehte den Schlüssel um und zog ihn ab.

Wie versteinert lehnte Thompson an der unverputzten Rückwand der Zelle. Völlig benommen starrte er auf den Mann, der dicht vor dem Gitter stand, eine lange schwarze Zigarre aus seiner Jackentasche zog und sie sich in aller Ruhe anzündete.

Da endlich kam der Überrumpelte zu sich. Er riß sie Augen auf, krallte die Hände hinter sich in das Gestein und stieß sich plötzlich ab. Mit einem dumpfen Aufprall landete er vorn am Gitter.

Wyatt Earp blickte ihm gelassen ins Gesicht.

»He! Was soll das?« krächzte der Bandit heiser.

»Sie haben Sheriff Whitney erschossen, Thompson!« versetzte Earp. »Sie sind verhaftet!«

Da spannte der Texaner seine groben Fäuste um die Gitterstäbe, zwängte den Schädel dazwischen und fragte mühsam beherrscht:

»Was hast du gesagt?«

»Sie sind wegen Mordes verhaftet!«

Da warf sich Thompson zurück und zerrte so gewaltig an den Eisenstäben, daß sie in ihrem Gefüge ächzten und dröhnten. Alle sahen es: Dieser Mann hatte die Körperkraft eines Stiers.

»Was hast du gesagt?« brüllte Thompson. »Weißt du überhaupt, wer ich bin, Mann?«

Wyatt blies eine kleine blaue Tabakwolke vor sich hin. Er wich keinen Zoll vor dem plötzlich wieder gegen das Gitter anprallenden Mann zurück. Und jetzt hatte der Eingesperrte Muße, das Gesicht des anderen zu betrachten.

Es war ein kantiges, hartes Gesicht mit tiefblauen Augen. Die Nase war gerade und der Mund energisch und gutgeschnitten. Es war ein edles, wohlgeformtes Männergesicht, das, von tiefer Wetterbräune bedeckt, unter der breiten Krempe des ungekniffenen schwarzen Hutes hervorsah. Ein Gesicht, aus dem Entschlossenheit, Unbeirrbarkeit und Klugheit sprachen.

Niemand in dem kleinen Raum ahnte wohl in diesem Augenblick, daß es das Gesicht eines Mannes war, dessen Name einmal leuchtend groß in den Annalen der Geschichte Amerikas verzeichnet sein sollte. Dieser junge Wyatt Earp, dessen Stern in dieser Stunde aufgegangen war, würde sie einmal alle überstrahlen, die wenigen wirklich Großen aus der Pionierzeit der Vereiniten Staaten.

Der einfache Mann, der 1848 als Sohn eines Nordstaaten-Offiziers auf einer Farm bei der Stadt Monmouth­ ­(Illinois) geboren worden war, hatte sich von frühester Jugend an in den Weststaaten aufgehalten. Er war Treckbegleiter von Planwagenzügen gewesen, die von den Städten des Ostens hinüber nach Californien an die Westküste gezogen waren. Er hatte mehrere Jahre auf einer großen Ranch in Texas als Cowboy verbracht, war in Colorado als Holzfäller in einem Gebirgscamp beschäftigt, hatte in Montana Büffel geschossen, in Dakota in Goldgräber-Lagern gearbeitet und war nun seit einiger Zeit als Fahrer bei der Overland.

Bevor er hierher nach Kansas gekommen war, hatte er bei den Eltern gelebt, die drüben in Missouri ein Stück Land erworben hatten. Diese Tatsache verlieh ihm den Beinamen, den er zeitlebens nicht mehr loswerden sollte: Der Missourier.

Das Leben, das vor dem jungen, sehr ernsten Mann lag, war so bunt und vielgestaltig, so abenteuerlich und gefährlich, daß er es vielleicht selbst für ausgeschlossen gehalten hätte, wenn ihm jetzt ein Prophet einiges darüber berichtet hätte.

Es war irgend etwas im Blick des jungen Menschen, das den Mörder Ben Thompson innehalten ließ. Tief in den Augen Wyatt Earps, die jetzt etwas von der kristallenen Kälte eines zugefrorenen Bergsees an sich hatten, lag ein Schimmern, das den Banditen gefrieren ließ.

Erst als Bewegung in die anderen Männer im Office kam, schüttelte Thompson den Bann ab, der auf ihm gelegen hatte. Wieder zerrte er wild und ungebärdig an den Gittern und schrie:

»Was soll das, Boy? Das ist doch nicht dein Ernst?«

Da trat der Mayor an das Gitter.

»Doch, Ben Thompson. Es ist bitterer Ernst. Sie sind verhaftet. Richter Cordell wird über Sie zu Gericht sitzen. Und dann wird man Sie an einem grauen Morgen draußen auf dem Galgenhügel an den kahlen Ast knüpften.«

In den gelblichen Augen des Banditen stand für den Bruchteil einer Sekunde kalte Angst. Dann wischte er sich über die Stirn und hatte sich sofort wieder in der Gewalt. Er legte den Kopf etwas auf die Seite, kniff die Augen ein und schleuderte dem Bürgermeister einen blitzenden Blick zu:

»Halt’s Maul, Fettwanst! Ich rede mit diesem jungen Wolf hier. Ihr andern seid Ratten, verdammte feige Ratten!« Er sah Wyatt wieder an. »Also, Mann, wie hast du dir das vorgestellt?«

Wyatt verschränkte in einer für ihn typischen Manier die Arme über der Brust, schob mit der Zunge die Zigarre in den rechten Mundwinkel, spreizte die Beine und senkte den Kopf ein wenig.

»Was gibt’s da vorzustellen, Thompson? Sie sind ein Mörder und bekommen Ihre Strafe.«

Danach wandte sich der Missourier ab, nahm sich den Stern von der Brust und drückte ihn dem Mayor in die Hand.

»Hier, Mister, ich brauche ihn nicht mehr.« Er ging zur Tür.

»He!« Wie ein Tier hatte der Mörder den Schrei ausgestoßen, der den Postfahrer an der Schwelle festnagelte. »Du machst das Spiel nicht, Bursche! Mein Bruder Bill wird dir das Genick nach Osten drehen!«

Wyatt wandte den Kopf. Ein dünnes Lächeln lag um seine Lippen.

»Für den wird die Bürgerschaft einen neuen Marshal anwerben!«

»Earp!« rief der Bürgermeister, als er sah, daß der Postfahrer gehen wollte. »Sie können doch jetzt nicht weg!«

»Weshalb nicht? Meine Gäule kriegen einen Sonnenstich!«

»Haben Sie denn nicht gehört, was er gesagt hat? Sein Bruder Bill wird kommen!« zeterte der Mayor.

»Na und?«

»Kennen Sie Bill Thompson denn nicht? Er ist noch schlimmer als Ben!«

»Kann sein. Sperrt ihn in die Zelle nebenan, dann können die beiden durch das Gitter miteinander pokern.«

»Verdammter Skunk!« kreischte der Bandit.

»Ich verstehe Sie nicht, Thompson. Double-Poker ist ein sehr unterhaltsames Spiel. Man kann es tagelang spielen. Man vergißt darüber den Galgen.«

Wyatt wandte sich um und ging hinaus.

Stumm blickten die Männer hinter ihm her; sie liefen ans Fenster und sahen, wie er zu seinen Pferden trat.

»He!« grölte die bellende Stimme des Banditen hinter ihnen und riß sie herum. »Da glotzt ihr, ihr Ratten! Was passiert jetzt? Euer As pfeift euch was! Haha! Ihr Hohlköpfe. Was glaubt ihr, was Bill mit euch aufstellen wird, ihr Geier? Er wird euch der Reihe nach umbringen. Dich zuerst, du Fleischberg! Er hat eine Vorliebe für feiste Burschen wie dich. Er sagt, nichts ließe sich besser voll Blei pumpen, als ein Mann mit einem ganz schweren Bauch! Hahaha!«

Die grelle Lache des Banditen schnürte dem Mayor die Kehle zu.

Mit Unbehagen im Herzen wandten sich die Männer zur Tür.

Draußen zog sich der Postfahrer eben auf den Kutschbock, stemmte seine staubigen Stiefel gegen das Fußbrett, nahm die Zügelleinen zurück und rief. »Hooo –!«

*

Aber dieser 18. August sollte noch nicht zu Ende sein. Noch lange nicht.

Wyatt Earp hatte mit seiner Postkutsche kaum zwanzig Yards hinter sich gebracht, als das Geräusch von Pferdehufen an sein Ohr drang. Er wandte sich um und sah eine Reiterschar die Straße hinaufsprengen. Sofort nahm er die Zügelleinen hoch und hielt den Wagen an.

Die Reiter machten mitten auf der Straße vor dem Sheriff Office halt. Wyatt schätzte, daß es wenigstgens dreißig Mann waren. Rauhe Burschen mit harten Gesichtern und staubigen Treiberkleidung.

Ein mittelgroßer Mann mit olivfarbenem Gesicht und dunklen Augen hielt direkt vor dem Vorbau des Büros. Er lehnte sich nach vorn, stützte die Linke auf das Sattelhorn, die Rechte auf den Oberschenkel und fixierte Sefton Miller, den Mayor.

»Hallo, Dicker, wie geht’s?«

Der Mayor zog die Brauen hoch. Aber er wagte nicht, auf diesen Spott zu antworten.

»Wie’s geht?« fragte der Cowboy, und diesmal klang es schon bedeutend bedrohlicher.

Der Mayor hatte es gespürt und blickte unbehaglich und hilfesuchend den kleinen Mann mit der roten Nase an, der direkt neben ihm stand.

Da stieg der Reiter vom Pferd und trat an die Vorbautreppe heran.

»Hör zu, Dicker, wenn du hier der Mayor bist, so möchte ich dir sagen, daß wir die lieben Boys aus Texas sind. Wir haben 17.000 Rinder von Cheerbake heraufgetrieben. Und jetzt bringen wir die Dollars, die wir dabei gemacht haben, in eure dreckige Zigarrenkistenstadt. Hast du das kapiert, Alter?«

Der Bürgermeister war kein Mann von großer Überlegung, seine anfängliche Angst war verflogen, gereizt erwiderte er:

»Ihr befindet euch hier in Ellsworth. Das ist keine dreckige Zigarrenkistenstadt, verstanden!«

Der Cowboy war mit zwei schnellen Sprüngen oben auf dem Vorbau und stand dicht vor Miller.

»Hör zu, Lad. Dieser Ton mißfällt mir erheblich.«

Er wandte sich um, stützte sich mit der Linken gegen einen Vorbaupfeiler und sah zu seinen Leuten hinüber.

»He, Boys! Netter Empfang, was? Sollen wir ihnen ein paar von unseren Kunststücken vorführen?«

»Klar, Geg!« riefen mehrere Reiter.

Blitzschnell hatte der Cowboy auf dem Vorbau seinen Colt in der Rechten, stieß ihn nach vorn und jagte rasch hintereinander fünf Schüsse über die Straße, die drüben im Barber-Shop die Fenster zertrümmerten.

Ganz plötzlich hielt der Schütze inne und blickte auf einen braunen Wallach, der in der Seitengasse neben dem Smoky-Saloon an einem Querholm angebunden war.

»He, wenn das nicht Ben Thompsons Pferd ist, will ich meinen Sattel ungekocht verschlingen!«

Die andern musterten das Pferd jetzt auch. Und auch sie schienen das Tier zu kennen.

»Loppy, lauf rüber in den Saloon. Ben wird vielleicht mit dem Salooner ein Spiel machen.«

Einer der Reiter stieg vom Pferd und ging mit hölzernen Reiterschritten auf den Saloon zu.

Nach einer Minute kam er wieder, in der rechten Hand hielt er einen langläufigen Revolver, dessen Knauf mit zwei silbernen Andreaskreuzen ausgelegt war.

»Geg!« rief er und hob die Waffe hoch. »Das ist alles, was ich gefunden habe!«

»Bens Colt!« brüllte Geg. »Und wo steckt Ben selbst?«

»Ich weiß es nicht.«

Unendlich langsam drehte Geg sich zu dem Bürgermeister um, stemmte die Fäuste in die Hüften, kniff die Augen ein und wog sich herausfordernd auf den Außenkanten seiner Stiefelsohlen.

»He, Fettwanst! Lobby hat den Colt eines Mannes gefunden, den wir verdammt gut kennen. Die Bleispritze gehört Ben Thompson. Solltest du vielleicht wissen, wo Bennie ist?«

Es war einen Augenblick still. Dann hörte man den Bürgermeister sagen:

»Ja, er ist im Gefängnis!«

Geg wich einen halben Schritt zurück und ließ die Hände von den Hüften fallen.

»Was war das?« fragte er völlig entgeistert.

»Er ist im Gefängnis!«

Der Cowboy stieß einen kleinen Piff durch die Lücke in seinen Schneidezähnen.

»Sag das doch noch mal.«

»Ben Thompson ist im Gefängnis«, wiederholte der Mayor schon etwas zaghafter.

Da traf ihn eine so gewaltige Ohrfeige, daß er zurück gegen den Schmied prallte.

»Ben Thompson ist im Gefängnis?« röhrte Geg. »Das ist ja wohl der beste Witz, den der alte George Peshaur bis heute gehört hat. Und du hast ihn wohl einsperren lassen, he?«

Miller trat vor. Seine linke Wange war brandrot.

»Ja, ich habe ihn einsperren lassen!«

Loppy war inzwischen mit Thompsons Colt neben Geg auf dem Vorbau angekommen.

Geg riß dem Kameraden die schwere Schußwaffe aus der Hand und hielt sie blitzschnell auf die linke Schulter des Mayors.

»Wo ist das Gefängnis?«

In den Moment der absoluten Stille hinein schnitt eine harte, metallische Stimme; sie kam drüben von der wartenden Postkutsche her.

»Du solltest lieber fragen: Wo ist der Sheriff?«

Geg warf den Kopf herum und sah drüben in zwanzig Yards Entfernung den Kopf und die Schultern des Postfahrers.

»Was willst du, Staubschlucker?« krächzte er.

»Reiß das Maul nicht so auf, Pe­shaur!« rief Wyatt kalt zurück.

»He!« Wieder stieß der Cowboy den Zahnlückenpfiff aus. »Der Rumpelkisten-Jonny kennt mich! Das ist schon besser!«

In diesem Augenblick beging der Bürgermeister in seiner Unbedachtsamkeit einen ziemlich großen Fehler. Er trat einen halben Schritt vor und brüllte:

»Verschwinden Sie jetzt, Mann. Wir haben genug an Ben Thompson!«

Geg Peshaur riß blindwütig den Colt hoch und wollte ihn dem Major auf den Schädel schmettern.

Da peitschte ein Schuß auf, und der schwere Revolver mit den beiden silbernen Andreaskreuzen wurde dem Cowboy aus der Hand gerissen.

Der Schuß war von der Overland-Kutsche gekommen.

Peshaur und seine Freunde starrten verblüfft zu dem Schützen hinüber.

Da rief der Postfahrer: »Du hast verdammt schlechte Manieren, Peshaur! Die hättest du besser unten in Texas gelassen.«

Aus dem Gesicht des Cowboys war plötzlich alle Farbe gewichen. Er stieß mit einem blitzschnellen Ruck seine Rechte zum Colt, riß die Waffe heraus – und mußte erleben, daß ein zweiter Schuß vom Kutschbock der Overland her ihm auch diese Waffe aus der Hand riß.

Peshaur spreizte die Hände, hob sie an und brüllte plötzlich wie ein waidwund geschossenes Tier:

»Du verdammter Skunk! Du elender Staubfresser…«

Die Cowboys blickten in stummer Anspannnung zu dem Mann auf dem Kutschbock hinüber.

Der stieg jetzt vom Wagen und kam langsam zurück, auf den Vorbau zu.

Die Cowboys starrten ihn mit harten Augen an.

Aber niemand rührte sich.

Wyatt Earp hatte keine Waffe in der Hand. Er würde jetzt in der nächsten Minute das tun, was er in seinem ganzen weiteren Leben tun sollte und was vielleicht auch der Grundtick seines Erfolges war: Er ging langsam die Vorbautreppe hinauf und hielt dem Mayor die Rechte hin.

Diesmal kapierte Miller: Er nahm den Blechstern aus der Tasche und reichte ihn dem Postfahrer.

Wyatt heftete den Fünfzack an seine staubige Weste; dann wandte er sich um und legte Peshaur die Rechte auf die Schulter. »Sie sind festgenommen!« Er zog den Cowboy vorwärts und schob ihn ins Sheriff Office.

Auch George Peshaur kam erst zu Verstand, als er in der Zelle saß und nebenan Ben Thompson gewahrte. Er rannte in wildem Zorn nach vorn, zerrte an den Gitterstäben und fauchte wie ein Bergpuma.

»Was soll das heißen? Laß mich sofort hier raus!«

Wyatt hatte längst abgeschlossen, blickte ihn kalt an und meinte:

»Keine Kraftvergeudung, Peshaur. Du sitzt hier wegen Bedrohung und Beleidigung des Mayors von Ellsworth.«

Der Bürgermeister und die anderen Leute hatten es angesichts der großen Reiterschar nicht gewagt, Wyatt mit dem Gefangenen ins Office zu folgen. Wie gebannt starrten sie auf die Cowboys. Was würde geschehen? Nie und nimmer konnten die Reiter das hinnehmen.

Aber die Männer von Ellsworth mußten erleben, daß die Cowboys ebenso erstarrt waren wie sie selber. Sie erlebten gemeinsam zum erstenmal etwas von der seltsamen Macht, die dieser Wyatt Earp ausstrahlte.

Ehe der erste der Cowboys sich wieder gefaßt hatte, stand der Postfahrer schon vorn auf dem Vorbau. Er hatte die Beine gespreizt und die Arme vor der Brust verschränkt. Hochaufgerichtet stand er da und blickte zu den Reitern hinüber.

Der tief in die Stirn gezogene breitrandige Hut warf einen harten dunklen Schatten auf sein eckiges Gesicht. Und dennoch sahen die Männer seine Augen. Ein Augenpaar, in dessen Tiefen es eiskalt und kristallen schimmerte. Irgend etwas Besonderes war in diesen Augen; niemand konnte sagen, was es war.

Jetzt öffneten sich Wyatts Lippen, und eine Doppelreihe blendendweißer Zähne blitzten in der Sonne.

»Hat noch jemand etwas zu sagen?« fragte er nicht einmal sonderlich laut.

Nein, es hatte niemand mehr etwas zu sagen.

Und auch er selbst war kein Mann vieler Worte.

Er wandte sich um, nestelte den Blechstern von der Brust und reichte ihn dem Mayor zurück. Dann ging er mit harten sporenklirrenden Schritten über die Vorbautreppe auf die Straße. Er dachte gar nicht daran, sich auch nur einmal umzuwenden. Er hielt auf die Postkutsche zu, hatte schon die Hand nach dem Eisenring des Vorderrades ausgestreckt, als ihn eine schrille Stimme aufhielt.

Ein junger Mann mit blondem Haar, kantigem wettergrauem Gesicht, aus dem ein bernsteinfarbenes Augenpaar glühte, hatte sich vom Pferd geschwungen und stand jetzt breitbeinig mitten auf der Straße. Er schoß so schnell, daß es niemanden auf der heißen Main­street der kleinen Kansasstadt Ellsworth gab, der auch nur einen Cent für das Leben des Postfahrers gegeben hätte.

Wyatt Earp lag auf der Erde. Aber mit dem Kopf den Reitern zugewandt. Unter dem Hutrand funkelten seine Augen hervor.

In der Linken hielt er einen seiner beiden Colts, aus dessen Mündung ein dünner gekräuselter Rauchfaden kroch.

Der Cowboy drüben stand wie erstarrt; dann fiel ihm der Colt aus der Hand.

Der Mann knickte in die Knie und schlug hart mit dem Gesicht in den Staub der Straße.

Langsam stand Wyatt auf, nahm den Hut ab, klopfte sich den Staub aus den Kleidern.

Erst jetzt wich der Bann von den Männern.

Damned! Was war eigentlich geschehen?

Der Cowboy war vom Pferd gesprungen und hatte »Heh!« gebrüllt, und dann hatte er sofort geschossen.

Gedankenschnell war der Mann aus Missouri herumgefahren, hatte sich gleichzeitig in einer halben Pirouette zu Boden fallen lassen und geschossen. Und die Kugel, die er auf die Reise geschickt hatte, war dem zwanzigjährigen Cowboy Rory Calleger oberhalb des Herzens in die Brust gedrungen.

Wyatt blieb vor dem Gestürzten stehen. Er hatte den Colt längst wieder in das Halfter zurückgleiten lassen. Unendlich langsam hob er den Blick.

Aber diesmal gab es wirklich niemanden mehr, der noch etwas von ihm wollte.

Ein riesengroßer Cowboy rümpfte die Nase, kratzte sich das Kinn, nahm die Zügelleine hoch und trabte die Straße zurück.

Die andern folgten ihm langsam.

Der Missourier stand allein auf der Straße. Vor seinen staubigen Stiefelspitzen lag der niedergeschossene Cowboy, der seinen wilden Übermut mit einem glühenden Stück Blei in der Brust hatte bezahlen müssen.

Die Sonne schleuderte eine Höllenglut auf die Häuser; es roch nach Staub, Holz und Pferdeschweiß. Über den Dächern waberte die Hitze.

Da warf oben auf dem Vorbau der kleine rotnasige Mann seine dünnen Arme in die Luft und krächzte: »Wyatt Earp! Hell and devils! Wyatt Earp!« Dann stürmte er über die Treppenbretter auf die Straße, preßte die Hand des Postfahrers und brüllte noch einmal mit sich überschlagender Stimme dessen Namen.

Damit war das Eis der Erstarrung gebrochen. Die Ellsworther kamen vom Office heruntergestürmt und umringten den großen, ernstgesichtigen Mann, wollten ihm die Hände drücken, redeten auf ihn ein, bestürmten ihn mit Fragen – und mußten erleben, daß er sich Platz schaffte und zu dem Cowboy niederbeugte. Wyatt riß ihm das Hemd auf und warf einen kurzen Blick auf das Loch, das das Blei in die Brust des Weidereiters gerissen hatte.

»Wo ist der Doc?«

Ein kurzbeiniger Mann in einer langen gelben Jacke zwängte sich heran.

Wyatt erhob sich. »Sehen Sie nach ihm, Doc; vielleicht können Sie ihm helfen.«

Nur wenige Minuten später hielten drüben im Haus des Doktors John Fuller drei Männer den aus seiner Betäubung erwachten Cowboy fest, als ihm der graubärtige Arzt die Kugel aus der Brust holte.

Der wilde Rory Calleger war dem Totengräber noch einmal von der Schaufel gesprungen; aber er würde nie wieder einen Colt auf einen anderen Mann richten. Die Kugelverletzung so dicht über dem Herzen hatte eine beidseitige Armlähmung bei ihm hervorgerufen, die ihn von nun an zwang, untätig und siech sein Leben zu verbringen. Es sollte noch dreizehn Jahre dauern, bis ihn unten in einem Spielsalon in Dodge eine verirrte Kugel traf, die ein Texaner auf einen Sheriff abgeben sollte, der den Namen William »Bat« Masterson trug…

Wyatt Earp stand vor der Tür des Arztes und blickte zu seiner Kutsche hinüber.

Eine Gruppe Neugieriger stand um ihn herum.

Der Mayor steckte die fleischigen Daumen in die Ausschnitte seiner zitronengelben Weste. Er war jetzt, da die Gefahr vorüber war, wieder ganz Respektsperson.

»Mister Earp«, sagte er salbungsvoll. »Ich biete Ihnen einen Job in Ellsworth…«

»Mit dem Stern?« unterbrach ihn Wyatt.

»Ja, mit dem Stern.«

Der Missourier schüttete den Kopf. »Tut mir leid, Major. Ich habe einen Job.« Damit stiefelte er auf die Postkutsche zu.

»Wir bieten Ihnen monatlich hundert Bucks!« rief ihm der Bürgermeister nach.

Aber ohne Erfolg.

Wyatt Earp zog sich auf den Kutschbock, nahm die Zügelleinen hoch und rollte mit seinem knarrenden und polternden Gefährt aus der Stadt.

Acht Meilen weiter, bei der Pferdewechsel-Station, hielt er an, sprang ab, klopfte dem grauköpfigen Posthalter auf die Schulter und lief zum Brunnen. er warf sich ein paar Hände voll Wasser in das erhitzte Gesicht, setzte sich auf den Brunnenrand und blickte dem Alten zu, wie er die Pferde ausschirrte und frische Tiere aus dem Corral brachte.

Da trabte oben vom Kamm einer Hügelkette herunter ein einzelner Reiter auf die kleine Station zu. Beim Brunnen hielt er an, schöpfte sich gruß- und fraglos Wasser heraus, benetzte sein Gesicht, trank und setzte sich neben Wyatt auf den Brunnenrand, um sich eine Zigarette zu drehen.

Der Missourier warf ihm einen forschenden Seitenblick zu.

Es war ein großer, schwerer Mann mit breiten Schultern und massigem Schädel. Seine Augen standen etwas zu weit auseinander und das Haar hatte einen rötlichen Schimmer. Er trug ein verblichenes blaues Kattunhemd und eine ärmellose Lederweste. Tief unter dem Bund der engen Lewishose saß ein gekreuzter Waffengurt, aus dessen blanken Halftern die Hirschhornknäufe zweier fünfundvierziger Colts hervorblickten. Rechts oben im Gürtel steckte noch einer jener kleinen vierschüssigen Cloverleaf-Revolver, die meist nur Spieler, Salooner und Bankbeamte bei sich trugen. Wyatt wußte, daß diese kleine Waffe nicht nur sehr kostspielig war, sondern auch einen hervorragenden Schützen verlangte. Wenn sie als Schnellfeuerwaffe dienen sollte, mußte sie mit dem sogenannten Hammerschlag (blitzschnelles Schlagen mit der Innenhandfläche der freien Hand gegen den Spanner) benutzt werden.

Die Hände des Reiters waren breit, knorrig und stark behaart. Wyatt beobachtete unbemerkt die klobigen Finger, wie sie mit Mühe die immerhin gewohnte Arbeit des Zigarettendrehens verrichteten. Er wußte es, noch ehe er einen Blick zu dem texanischen Sattelzeug des hochbeinigen Braunen geworfen hatte, der mit hängendem Kopf neben dem Reiter stand und auf dessen rechter Satteltasche die beiden Buchstaben BT in Silber aufgesetzt waren.

Dieser Mann war niemand anderes als Bill Thompson, der berüchtigte Bruder jenes Banditen, der drüben in der Stadt den Sheriff Cecil Whitney niedergeschossen hatte.

»Na, fellow, machst du eine Pause?« fragte der Texaner.

»Yeah«, versetzte Wyatt.

Ohne Übergang und völlig geschäftsmäßig meinte Bill Thompson: »Wollen wir ein Spielchen drüben in der Station machen?«

»No.«

»Weshalb nicht?«

»Keine Lust.«

»Die kommt beim Spiel.«

»Bei mir nicht.« Wyatt erhob sich.

»Halt!« zischte es da hinter ihm.

Wyatt ging weiter.

Da krächzte die heisere Stimme des Spielers:

»Bleib stehen, Boy. Ich kann verdammt ungemütlich werden, wenn jemand etwas tut, was ich nicht mag.«

Wyatt wandte sich um und feixte. »Was du nicht sagst!«

In dem rissigen brutalen Gesicht des Spielers zuckte es. Er preßte die ohnehin schmalen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Plötzlich sprang dieser Mund auf, und er sah aus, als ob ein gelbbrauner Gesteinsbrocken zerrspränge.

»He, fellow, du hast wohl Sand in den Ohren?«

Der Missourier stand hochaufgerichtet und ruhig da. Die Arme über der Brust verschränkt. Er hatte jetzt etwas seltsam Steinernes an sich. In weniger als fünf Jahren sollte es keinen Mann mehr im Westen geben, der diesen Wyatt Earp nicht mit Unbehagen so vor sich stehen sehen würde. Die große Krempe des schwarzen Hutes warf einen tiefen Schatten über sein ernstes Gesicht.

»Also doch Sand in den Ohren?« quetschte der Texaner durch die gelben Zähne.

»Ich glaube nicht«, versetzte Wyatt.

»Was hast du gegen ein Spiel mit mir?« Bill war aufgestanden. Seine Hände hingen nach Schießerart reglos in Griffnähe über den Knäufen der beiden tiefhängenden Colts.

»Ich sagte es dir schon: Ich habe keine Lust.«

»Die kommt beim Spiel. Das sagte ich dir schon.«

Ein dünnes Lächeln kroch um die Mundwinkel des Missouriers.

»Kann sein, Bill. Aber ich muß jetzt weiter.«

Er wandte sich um und machte drei Schritte vorwärts. Ob er das Geräusch gehört hatte? Kaum anzunehmen. Wenn ein geübter texanischer Schießer seinen Colt aus dem Halfter zieht, ist kaum etwas zu hören.

Jedenfalls hatte der Postfahrer den Colt in der linken Faust, als er jäh herumwirbelte. Er hatte ihn genau im gleichen Augenblick im Anschlag wie Bill Thompson.

Das Gesicht des Spielers spiegelte grenzenloses Erstaunen, verzerrte sich dann aber zu einem breiten Lachen, das in ein dröhnendes Brüllen überging.

»He! Staubschlucker! Das war nicht schlecht! Weißt du das überhaupt? Das war sogar sehenswert! Wie oft gelingt dir der Trick?«

»Bei jedem Mann nur einmal«, antwortete Wyatt ruhig.

»Das ist schlecht«, grinste Bill.

»Ja, nämlich für den Mann. Bisher hat das eine Mal bei jedem genügt, Bill!«

Der Texaner schlug wieder eine brüllende Lache an, ließ den Colt dann am Mittelfinger seiner Rechten rotieren und schob ihn feixend ins Halfter zurück.

»Du bist ein ulkiger Bursche, Staubschlucker. – Sag mal, woher kennst du mich eigentlich?«

Wyatt ließ seinen schweren Fünf­undvierziger mit einem Handsalto ins Halfter gleiten.

Mit engen Augen hatte der Spieler diesen verblüffenden Trick verfolgt.

»By Gosh! Du bist kein Postfahrer, du bist ein Gaukler, fellow!«

Jetzt war es der Missourier, der grinste.

»Kennst du den Trick etwa auch nicht, Bill?«

Das Lächeln fiel aus dem Gesicht des Texaners und blieb in seinen Zähnen hängen. »No.«

»Eigenartig. Ich hätte gedacht, daß ein Spieler wie du so kleine Sachen beherrscht. Das gehört doch gewissermaßen zum Handwerk.«

Der Texaner stand da wie ein Baum. Kein Muskel zuckte in seinem gegerbten Gesicht. Spott – das war genau das, was der wilde rücksichtslose Bill Thompson nicht ertragen konnte.

»Ich habe leider keine Zeit mehr für dich, Bill. Du siehst, meine Gäule sind eingeschirrt. So long!« Er wollte sich umwenden, sah aber noch im Abdrehen, wie der Texaner auf ihn zuhechtete.

Es wurde kein großer Kampf.

Der weithergeholte pfeifende Schwin­ger Bills zischte über den abgeduckten Kopf seines Gegners.

Dafür saß der steifangewinkelte, knallharte linke Haken Wyatt Earps genau im Ziel.

Der schwere Mann wurde so durchgeschüttelt, daß er benommen dastand und erleben mußte, wie ihm die Arme kraftlos herunterfielen. Nur wie durch einen Wasserschleier sah er die sehnige Gestalt des Postfahres vor sich stehen, hörte die Stimme des anderen.

»Ich sagte dir doch, ich habe keine Zeit, Bill. Dein Bruder hat mich in der Stadt schon so lange aufgehalten.«

Dieser Satz riß die Tatkraft und den Kampfnerv des Texaners wieder wach.

»Ben?« röhrte er. »Du verdammter Skunk hast auch einen Gang mit Ben gehabt – und lebst noch? Heavens! Das muß ich sofort bereinigen!«

Er warf beide Arme nach vorn, spreizte seine prankenartigen Finger und warf sie um den Hals des Missouriers.

Das war das letzte, was Bill Thompson für viele Stunden tat.

Die beiden Faustschläge, die kurz hintereinander an seinem Kinn detonierten, schienen ihn regelrecht anzuheben. Sonderbar langsam kippte der Spieler über die Absatzspitzen zurück. Im Fallen streifte sein Schädel hart die Brunnenkante…

Als Bill Thompson wieder zu sich kam, hatte die Sonne schon ein gutes Stück ihres Weges zum Westen hin zurückgelegt. Die Bäume warfen lange Schatten, und der Himmel hatte ein sattes rötlich schimmerndes Blau. Es ging auf Abend zu.

Der Spieler rieb sich das Kinn, schüttelte den Kopf, erhob sich taumelnd und ging auf weichen Knien zu seinem Pferd.

*

Der grauköpfige Jim Duffy hatte der Auseinandersetzung der beiden Männer ziemlich uninteressiert zugesehen.

Als der Fremde still am Boden lag, blinzelte der Alte und schneuzte sich die Nase. Dann kam er langsam auf seinen sichelkrummen Beinen auf Wyatt zu. »Das war ganz unmißverständlich, Mister Earp.«

Wyatt nickte. »Und leider war es auch nötig.«

Er nahm den Hut ab, wischte über das Schweißband, zog eine lange schwarze Zigarre aus der Westentasche und riß ein Zündholz an der Stiefel­sohle an.

Der Alte schnupperte den Tabaksduft mit Wohlbehagen ein.

Ohne ihn anzusehen, reichte Wyatt ihm eine Zigarre.

»Sie könnten mir einen Gefallen tun, Duffy.«

Der Alte biß die Zigarrenspitze ab, riß ebenfalls ein Zündhoz an, sog den Rauch tief ein und fragte durch die tiefblauen Rauchwolken: »Ja –?«

»Fahren Sie die Kutsche weiter nach Russel.«

Der Alte hob überrascht den Kopf. »Ich?«

»Ja, Sie.«

»Aber…«

»Was aber? Sind Sie etwa zu alt dazu, die Schaukel über die Prärie zu bringen? Jeff Collins hat mir erzählt, daß Sie siebzehn Jahre auf dem Kutschbock gesessen hätten und einer der besten Fahrer gewesen wären…«

»Siebzehn Jahre?« unterbrach ihn der Alte polternd, während seine Augen aus ihren Höhlen zu treten schienen. »Der Boß kann wohl schlecht zählen, Mister Earp! Es waren neunzehn Jahre!«

»Good. Ich weiß, daß Sie die Pferdewechsel-Station nur bekommen haben, weil der Boß Ihnen mehr Ruhe gönnen wollte. Wir müssen die Plätze für zwei Tage tauschen, Jim. Sie bringen die Kutsche nach Russel. Und ich bleibe auf der Station. Das heißt, ich werde beim nächsten Pferdewechsel wieder hier sein. Die abgetriebenen Gäule stiehlt bestimmt inzwischen niemand.«

Der alte Jim Duffy feixte. Er schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen und stemmte die von einer dünnen faltigen Haut bedeckten Hände in den Rücken.

»Ja, wenn Sie meinen?«

Wyatt nickte.