Über Ines Thorn

Ines Thorn wurde 1964 in Leipzig geboren. Nach einer Lehre als Buchhändlerin studierte sie Germanistik, Slawistik und Kulturphilosophie. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt am Main. Im Verlag Rütten & Loening sind außerdem »Ein Stern über Sylt« und »Die Strandräuberin« erschienen.

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Weihnachten auf der Insel

Ben und Mia haben keine Mutter mehr. Mit Malte, ihrem Vater, leben sie auf Sylt. Obgleich sie sich nach einer Mutter sehnen, haben sie doch Angst davor, dass ausgerechnet die unfreundliche Nachbarin Cornelia bei ihnen einziehen könnte. Als die Kinder beobachten, wie Cornelia ihren Vater küsst, wird die Angst übermächtig. Jetzt kann nur noch einer helfen: der Weihnachtsmann. Sie schreiben einen Brief, in dem sie sich eine neue Mama wünschen oder wenigstens einen Hund. Auf der Post gerät der Brief in die Hände von Ole – der Postbote glaubt zu wissen, wer die Kinder retten kann.

Eine wunderschöne Liebesgeschichte – nicht nur für Sylt-Liebhaber

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Ines Thorn

Ein Weihnachtslicht über Sylt

Roman

Inhaltsübersicht

Über Ines Thorn

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1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

Epilog

Impressum

schnuppe.tif

1. Kapitel

Es schneit, es schneit!«, rief Mina fröhlich. Sie drehte sich im Kreis und streckte die Zunge heraus, um eine Schneeflocke zu fangen und in ihrem Mund schmelzen zu lassen. Jana und Lydia, ihre beiden Freundinnen, taten es ihr nach. Die drei Mädchen tanzten vor der Buchhandlung in der Friedrichstraße, so dass ein junges Paar ihnen lachend ausweichen musste. Gerade noch hatten sie die Kinderbücher im Schaufenster bestaunt, und Mina hatte sich auf der Stelle in ein Märchenbuch mit rotem Einband verliebt. Sie mochte Märchen, auch wenn Jana und Lydia das ein bisschen kindisch fanden und lieber Gregs Tagebücher oder Harry Potter lasen. Aber gab es denn etwas Schöneres als Märchen, die man im Winter vor dem Kamin lesen konnte, dabei eine Tasse heiße Schokolade in Reichweite?

Am Morgen war die kleine Stadt in der Mitte von Sylt noch von Nebelschleiern, die vom Meer kamen, eingehüllt gewesen, und dicke graue Wolken hatten wie schwere Federbetten am Himmel gehangen, doch Mina hatte gehört, dass die Lehrerin Frau Heimlein zum Hausmeister der Schule gesagt hatte, es rieche nach Schnee. Mina hatte keine Ahnung, wie Schnee roch, aber sie liebte es, die Flocken fallen zu sehen. Sie war nach der Schule mit ihren Freundinnen Jana und Lydia durch die große Einkaufsstraße Westerlands gelaufen, und sie hatten sich dabei gegenseitig erzählt, was sie sich zu Weihnachten wünschten. Jana hatte von einem roten Pullover mit silbernen Sternen geschwärmt, Lydia wünschte sich eine Blockflöte.

Sie waren an der Buchhandlung stehengeblieben, und Mina hatte das Märchenbuch entdeckt. Und dann hatte es plötzlich angefangen zu schneien. Dicke Flocken waren vom Himmel geschwebt und hatten sich auf die Mützen der Mädchen gelegt. Es hatte gar nicht lange gedauert, da bedeckte eine dünne weiße Schicht die Straße, lag auf Autodächern und setzte den wenigen Bäumen und Büschen weiße Hauben auf.

Die ersten Schneeflocken waren für Mina in jedem Jahr etwas ganz Besonderes. Sie zeigten an, dass Weihnachten vor der Tür stand und dass es Zeit war, den Wunschzettel zu schreiben.

Mina verabschiedete sich von ihren Freundinnen und rannte nach Hause. Die Hausaufgaben erledigte sie im Eiltempo, und dann saß sie an ihrem Schreibtisch und dachte über ihre Weihnachtswünsche nach.

Sie drückte den Buntstift fest auf das Papier und versuchte sich genau an das Cover des wunderbaren Märchenbuchs zu erinnern. Rot war der Einband gewesen. Roter Samt. Die Buchstaben auf dem Einband waren aus Gold gewesen und hatten im Licht der Schaufensterlampen gefunkelt. Genau wie die Flocken, die durch das Licht, das von ihrer Schreibtischlampe nach draußen fiel, golden leuchteten. Es hatte seit heute Nachmittag ununterbrochen weitergeschneit, und der Schnee hatte den Garten und die Straße verzaubert. Wie im Märchenland, dachte Mina, und dann nahm sie den roten Buntstift aus dem Mund und versuchte weiter, das Märchenbuch auf ihren Weihnachtswunschzettel zu malen. Sie wünschte sich das Märchenbuch wirklich sehr; es war der zweitwichtigste Wunsch auf ihrer Liste, und sie sah sich schon die ganzen Weihnachtsferien über lesen.

Doch damit es dazu kommen konnte, musste der Weihnachtsmann genauestens instruiert werden. Und bisher hatte sie sich auch noch nie beklagen können. Der Weihnachtsmann hatte sie und ihren Bruder immer sehr großzügig mit Geschenken bedacht, etliche Wünsche erfüllt und meist auch noch ein Geschenk mitgebracht, das sie sich zwar gar nicht gewünscht hatten, das ihnen aber große Freude bereitet hatte. Letztes Jahr zum Beispiel hatten sie und ihr fünf Jahre alter Bruder Ben ein Spiel bekommen, das sie seitdem oft mit ihrem Papa Malte an den Wochenenden gespielt hatten.

Das allein ist doch auch schon ein Beweis dafür, dass es den Weihnachtsmann wirklich gibt, überlegte Mina. Sie dachte wieder an den vergangenen Schultag. Sie hatten im Unterricht über Weihnachten gesprochen. Es ging darum, dass Weihnachten das Fest der Liebe und der Familie war. Mina war bei diesen Worten ganz warm ums Herz geworden. Sie freute sich auf Weihnachten, auf die gemeinsame Zeit mit ihrem Bruder Ben und ihrem Vater Malte. Sie freute sich auf den Besuch bei Oma Erna und Opa Walther, den Schmorbraten, den Oma Erna immer machte, die Weihnachtslieder, die aus dem Radio klangen, die vielen Lichter in der kleinen Wohnung ihrer Großeltern und den Duft nach Orangen, Äpfeln und Zimt.

Während Mina in der Pause noch ganz ihren Gedanken nachgehangen hatte, war Jasper auf sie zugekommen.

»Ich backe am Wochenende mit meiner Mama Plätzchen«, hatte er verkündet.

»Wir machen das auch«, hatte Mina nur geantwortet, in der Hoffnung, ihn damit abwimmeln zu können.

Doch Jasper ließ nicht locker. »Du hast aber gar keine Mama!«

Jeder wusste natürlich über Minas besondere Familiensituation Bescheid. Sie lebte mit ihrem Papa Malte und ihrem Bruder Ben alleine in einem schönen, großen Friesenhaus am Rande von Westerland. Eine Mama für sie und Ben und eine Frau für Papa Malte gab es nicht. Ihre Mama war gestorben, als Mina gerade fünf und ihr Bruder zwei Jahr alt gewesen waren. Sie war eines Morgens zum Einkaufen gegangen und einfach nicht wiedergekommen. Ein LKW mit überhöhter Geschwindigkeit, hatten die Erwachsenen gesagt. Mina konnte sich kaum noch an ihre Mama erinnern. Ein Foto im silbernen Rahmen, das auf dem Schreibtisch stand, zeigte sie auf dem Arm ihrer Mutter. Wenn sie es genau betrachtete, konnte sie sehen, dass sie große Ähnlichkeiten mit der Frau auf dem Foto hatte: dasselbe dunkelblonde Haar, dieselbe blaugraue Augenfarbe, dieselben geschwungenen Lippen. Nur die Grübchen auf der Wange und die Nase mit den Sommersprossen, die hatte Mina von ihrem Papa.

»Zu einer richtigen Familie gehören nämlich Mama und Papa«, redete Jasper weiter.

»Ich habe auch eine Mama. Die wohnt eben nur nicht bei uns, sondern im Himmel. Aber vielleicht bringt mir ja der Weihnachtsmann eine neue Mama«, entgegnete Mina.

Da hatte Jasper die Augen und den Mund weit aufgerissen und ganz verblüfft geguckt, so dass Mina zunächst glaubte, er bekäme keine Luft mehr. Und dann hatte er angefangen zu lachen. Aus seinem Mund kamen glucksende Geräusche, die sich steigerten und an ein wieherndes Pferd erinnerten. Mina blickte sich nach Frau Heimlein um, ihrer Lehrerin, die an diesem Tag Pausenaufsicht hatte. Doch Frau Heimlein sprach gerade mit einem Jungen aus der Parallelklasse. Dafür kam nun noch Henning dazu, Jaspers Freund und Sitznachbar. Verwundert starrte er Jasper an. »Warum lachst du denn so?«, wollte er wissen. »Habe ich etwas verpasst?«

»Mi… Mina … Mina glaubt … Sie glaubt noch an … den Weihnachtsmann«, prustete Jasper und tat so, als müsste er sich vor Lachen den Bauch halten.

Mina blickte verlegen zu Boden und wünschte sich, ein Loch möge sich auftun, damit sie darin verschwinden könne.

Da fing auch Henning an zu spotten. »Jeder weiß doch, dass die Eltern die Geschenke kaufen und unter den Weihnachtsbaum legen und der Weihnachtsmann nur eine Erfindung für Babys ist.« Spöttisch blickte er Mina an.

Mina schämte sich, aber eigentlich wusste sie gar nicht so recht, warum. Hatten Jasper und Henning wirklich recht? War der Weihnachtsmann tatsächlich nur eine Erfindung der Erwachsenen? Kaufte in Wahrheit ihr Papa die Geschenke und legte sie unter den Baum? Hilfesuchend blickte sich Mina nach ihren Freundinnen um. »Stimmt das?«, fragte sie die beiden Mädchen. »Glaubt ihr auch, dass die Eltern die Geschenke kaufen und unter den Baum legen?«

Während Jana tat, als hätte sie nichts gehört, druckste Lydia herum. »Ich  … ich weiß nicht genau. Mir ist es egal, wer die Geschenke bringt. Hauptsache ist doch, dass wir etwas bekommen«, sagte sie leise, so dass ihre Worte beinahe in dem Geläut der Pausenglocke untergingen.

Frau Heimlein stand an der Schultür und winkte den letzten, die langsam herbeigeschlendert kamen. Jana und Lydia rannten zu ihr, aber Mina ließ sich Zeit. Sie ahnte, dass Jasper und Henning den anderen Kindern bereits von ihrem Gespräch auf dem Pausenhof erzählt hatten. Als Mina nach allen anderen in die Klasse schlüpfte, stellte sich ihr auch Franziska direkt in den Weg. »Sag mal, Mina, glaubst du dann auch noch an den Klapperstorch?«

»Ja, meinst du, der hat dir deinen Bruder gebracht, weil du doch keine Mama hast«, stimmte auch Marina mit ein.

Mina spürte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Ihr wurde auf einmal ganz warm, und sie hatte das Gefühl, nur schlecht Luft zu kriegen.

»Ich … ich …«, stotterte sie, nach einer Erklärung suchend. Zum Glück betrat Frau Heimlein den Klassenraum, alle Kinder huschten auf ihre Plätze, und der Unterricht begann.

Nach der Schule hatte Mina so lange getrödelt, bis Henning und Jasper gegangen waren. Erst dann hatte sie Jana und Lydia überredet, den etwas längeren Heimweg über die Friedrichstraße zu nehmen. Es konnte schließlich sein, dass Jasper und Henning irgendwo auf sie warteten, um sie noch mehr zu verspotten.

Und dann hatte es geschneit, und Mina hatte allen Kummer vergessen. Doch als sie zu Hause angekommen war, fielen ihr Hennings und Jaspers Gelächter wieder ein, so dass sie kaum das Mittagessen herunterbekam, das Malte für sie gekocht hatte.

»Ist irgendetwas?«, hatte der Vater gefragt und sie besorgt angesehen. »Hattest du Ärger?«

Mina hatte mit dem Kopf geschüttelt und war nach oben in ihr Kinderzimmer gegangen. Und da saß sie nun und überlegte, ob sie tatsächlich wieder einen Wunschzettelbrief an den Weihnachtsmann schreiben sollte, denn was würde passieren, wenn es den Weihnachtsmann wirklich nicht gab? Aber warum hatte ihr Papa Malte dann gesagt, der Weihnachtsmann würde auf die Wunschzettel von ihr und Ben warten? Er wusste ja, was sie sich wünschten, und brauchte keinen Extrabrief. Ihr kamen Lydias Worte wieder in den Sinn. Nein, die Geschenke waren wichtig, aber nicht das Wichtigste. Und es war nicht egal, wer sie brachte. Es wäre einfach schön, wenn es den Weihnachtsmann gäbe.

Mina legte den Rotstift beiseite und angelte nach dem gelben Buntstift, um die Buchstaben auf ihrer Märchenbuchzeichnung auszumalen. Seit sie einen Stift halten konnte, hatte sie jedes Jahr ein Bild für den Weihnachtsmann gemalt. Seit sie schreiben konnte, schrieb sie ihre Wünsche vorsorglich noch neben die Bilder, damit dem Weihnachtsmann bei der Bildinterpretation kein Fehler unterlief. Schließlich konnte sie noch nicht alles, was sie sich wünschte, auch ganz naturgemäß wiedergeben. Und wenn sie an die Zeichnungen ihres kleinen Bruders Ben dachte, war es eigentlich auch ein Wunder, dass der Weihnachtsmann statt des gewünschten Hundewelpen nicht schon mal irgendwann ein Pferd, eine Kuh oder ein Wollknäuel mit Armen und Beinen unter den Baum gelegt hatte. Mina malte den letzten Buchstaben aus und überlegte, was sie sich außerdem noch wünschen könnte.

Plötzlich knallte ihre Tür gegen den Kleiderschrank, und Ben, ihr kleiner Bruder, stürmte herein.

»Mina, guck mal, ich hab mein Bild für den Weihnachtsmann fast fertig, aber ich brauche deine Hilfe«, sagte er und legte Mina das Blatt Papier hin.

In der rechten Ecke prangten mehrere bunte Rechtecke mit kleinen Knubbeln. Mina deutete darauf. »Was soll das denn sein?«, fragte sie.

»Legos«, erklärte Ben. »Damit kann ich noch mehr Häuser bauen und einen Bahnhof, und wenn ich ein paar kleine Tiere bekomme, dann könnte ich auch einen Zoo bauen.«

Mina wusste, dass Bens Lieblingsspiele alle mit Legobausteinen zu tun hatten. Sie schrieb das Wort »Lego« neben Bens Zeichnung.

Weiter unten sah sie einen roten Kasten mit vier schwarzen Kreisen darunter und etwas, das wie eine Antenne in den Himmel ragte.

»Das ist ein Feuerwehrauto?«, fragte sie, um ganz sicherzugehen.

»Ja. So eins, wie wir es im Kindergarten haben. Genau so eins.«

»Ich weiß nicht, ob der Weihnachtsmann weiß, welches Feuerwehrauto ihr im Kindergarten habt, aber wenn du möchtest, dann schreibe ich es dazu.«

Ben nickte.

»Und was ist das?«, fragte Mina und deutete auf einen braunen Kreis mit schwarzen Strichen.

»Das ist ein Hundewelpe«, erklärte Ben. »Ich kann aber keine Schnauze malen. Kannst du mir das machen?«

Mina suchte einen braunen Stift aus ihrer Federmappe und malte dem braunen Kreis ein Dreieck – an die eine Seite mit einem schwarzen Punkt vornedran für die Hundenase und mit zwei kleineren Dreiecken für die Ohren obendrauf.

Ben nickte zufrieden. »Schreibst du noch drauf, dass es ein Hundewelpe ist? Dann weiß der Weihnachtsmann gleich Bescheid. Und wenn es kein braunes Hündchen mehr gibt, nehme ich eben ein schwarzes. Schreibst du das bitte auch noch auf den Wunschzettel?«, bat er.

»Glaubst du denn, dass es den Weihnachtsmann gibt?«, fragte Mina.

Ben zuckte mit den Schultern und blickte seine Schwester verständnislos an. »Wer soll denn sonst die Geschenke unter den Baum legen, während wir in der Kirche sind?«

Das stimmte natürlich. Jedes Jahr gingen Mina, Ben und ihr Vater Malte in den Kindergottesdienst am Nachmittag des Heiligen Abend. Und jedes Jahr legten sie eine Decke vor den Kaminofen, damit der Weihnachtsmann weich fiel. Und jedes Jahr war die Decke rußverschmiert, wenn sie aus der Kirche kamen, und die Geschenke lagen unter dem Baum. Wer sollte das sonst machen, wenn nicht der Weihnachtsmann? Mina betrachte ihren Bruder stolz. Für seine fünf Jahre war er wirklich schlau und auch gar nicht so nervig wie die kleinen Geschwister ihrer Freundinnen. Mina mochte Ben. Und sie fühlte sich für ihn verantwortlich. Wenn schon keine Mama auf ihn aufpasste, dann wenigstens sie. Und wenn Ben an den Weihnachtsmann glaubte, dann wollte sie das auch tun. Doch ein Restzweifel blieb.

Ben hatte unterdessen angefangen, seinem Bild für den Weihnachtsmann den letzten Schliff zu verpassen, und malte, wie er erklärte, kleine Schneeflocken. Auch Mina nahm wieder einen Stift zur Hand und zeichnete neben das Märchenbuch eine Puppe mit langen schwarzen Haaren und einen kleinen, braun-weiß gefleckten Hundewelpen. Sie waren beide so in ihre Arbeit vertieft, dass sie hochschraken, als eine Stimme von unten ertönte.

»Mina, Ben, Abendessen!«

Mina und Ben stürmten die Treppe hinunter. Ihr Vater war gerade dabei, die Teller auf den Tisch zu stellen. Mina schnappte sich das Besteck, während Ben Brot und Käse von der Arbeitsplatte nahm und zum Esstisch trug. Als alles gedeckt war und jeder seinen Platz eingenommen hatte, goss Malte seinen Kindern und sich Tee in die Tassen und schüttete einen Schwapp Milch hinein. Unter der Woche tranken sie ihren Tee abends immer so. Nur am Wochenende oder an Feiertagen kam der berühmte Klecks Sahne, auf Sylt »Rohm« genannt, anstelle der Milch in den Tee. Ben plapperte ununterbrochen und erzählte von seinem Tag im Kindergarten. Wie er und sein Freund Lasse draußen Ritter gespielt hatten und wie er die hübsche Anika, für die er schwärmte, als Burgfräulein gewinnen konnte. Mina hörte kaum zu, weil sie die ganze Zeit überlegte, ob es den Weihnachtsmann nun gab oder nicht. Ob sie ihren Vater fragen sollte?

»Mina, was ist los? Du bist noch immer so still wie beim Mittagessen.« Die Frage ihres Vaters durchbrach ihre Gedanken.

»Nichts weiter«, antwortete Mina vage und wich seinem Blick aus.

»Das glaub ich dir nicht. Normalerweise lieferst du dir mit Ben einen Wettstreit, wer mehr erzählen kann, und heute überlässt du ihm das Feld? Komm schon! Ist in der Schule etwas passiert?« Ihr Vater blickte sie fest an.

Mina seufzte, fasste sich ein Herz und fragte: »Papa, gibt es den Weihnachtsmann?«

Überrascht blickte Malte sie an. »Den Weihnachtsmann?«, wiederholte er. »Wie kommst du auf diese Frage?«

»Jasper und Henning haben gesagt, nur Babys glauben an den Weihnachtsmann. In Wirklichkeit gibt es nämlich gar keinen Weihnachtsmann. Stattdessen kaufen die Eltern die Geschenke und legen sie den Kindern hin.«

Mina merkte, wie sie immer schneller redete. Das tat sie jedes Mal, wenn sie aufgeregt war. Gerade als ihr Vater den Mund öffnete, um eine Antwort zu geben, klingelte es an der Tür. »Entschuldige«, sagte er, sprang auf und ging zur Tür.

Ben und Mina konnten von ihrem Platz am Esstisch eine leise Frauenstimme hören, und kurz darauf kam ihr Papa zurück, gefolgt von Cornelia, der Nachbarin.

»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte sie, und Mina fand, dass ihre Stimme irgendwie piepsig klang. Dann lachte Cornelia, ohne dass Mina dafür einen Grund erkennen konnte, und warf sich ihre blonden Haare über die Schulter.

»Nein. Du störst nicht. Setz dich doch. Möchtest du auch einen Tee?«, antwortete Malte und holte noch eine Tasse aus dem Schrank.