Fata Morgana

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Die Offiziere des Schiffes standen mit ernsten Gesichtern auf dem Quarterdeck. Vor ihnen der Kapitän mit der Miene des Zorns. Die Mannschaft reihte sich um den großen Mast, bleich, mit klopfendem Herzen und verhaltenem Atem.

Die Stunde des Gerichts hatte geschlagen.

Vor dem Kapitän lag ein junger Seemann auf den Knien und hielt die Hände flehend empor. Feierlich beteuerte er seine Unschuld, aber der Kapitän schüttelte ungläubig das Haupt.

»Du bist ein Sohn Uli Maströms, des Finnen, der den Wind beschwören und Verderben über das Schiff bringen kann, zwischen dessen Planken er weilt. Du hast die verfluchte Kunst deines Vaters geerbt –.«

»Ich beschwöre Euch, Kapitän!« schluchzte der Unglückliche.

»Da hört Ihr es! Er beschwört schon wieder! Sollen wir ihn länger unter uns dulden?«

»Fort mit ihm!« riefen die Offiziere, wie aus einem Munde.

»Fort mit ihm!« hallte es am großen Mast wider.

»Weh mir Armen! Das ist nun meine Strafe, daß ich nicht zufrieden sein wollte in der Beschränktheit des väterlichen Hauses, sondern in die weite Welt hinaus trachtete, wo ich das Glück in aller Pracht und Herrlichkeit erhaschen wollte.«

»Du bist gescholten worden um eines Vergehens willen, gescholten und gezüchtigt«, sprach der Kapitän. »Damals sprachst du auch, du seiest schuldlos und es werde uns übel bekommen. Das ist eingetroffen. Der Sturm brach aus, er machte unser Schiff einem Wrack ähnlich und verschlug es weit von seinem Kurs. Empfange jetzt den Lohn deiner Taten.«

»Ich sterbe schuldlos!«

»Verhüte es Gott, daß wir Hand an dich legen sollten. Wir übergeben dich deiner eigenen Kunst. Es ist dir selbst anheim gestellt, ob du dich retten willst. Hinab mit dir in das Boot, das wir dir bereitet haben und siehe zu, daß du dir den Wind herbeischaffst, der dich heimwärts führt. Wir zweifeln nicht, daß du der erste sein wirst, der uns in der Heimat begrüßt, wenn uns der Herr die Gnade erzeigt, daß wir sie jemals wiedersehen. Lebe wohl, du rüstiger Wetter-Beschwörer! – Glück auf die Fahrt!«

Lautes Gelächter erscholl; ein Gelächter der Offiziere und Matrosen, das grausam in das wunde Herz des Verurteilten schnitt. Am Fallreep lag ein kleines Boot. Ein Mast, ein Steuer, ein Segel und zwei Ruder befanden sich darin. Ihm zum Spott und um ihm die bevorstehenden Leiden noch fühlbarer zu machen, fand er neben seinem Sitz eine reichliche Mahlzeit von Fleisch und Brot und ein Gefäß mit süßem Wasser.

Man stieß ihn über das Fallreep. Seine Kameraden, die ihn früher liebten, haßten ihn jetzt aus Furcht und Aberglauben und riefen ihm höhnende Schimpfworte nach. Man löste die Fangleine des Bootes und die Wellen trugen es fort. Als es aus dem Gesichtskreis des Schiffes verschwunden war, ging der Kapitän in seine Kajüte und strich den Namen des Matrosen Maström aus der Schiffsliste.

Die Blicke des Unglücklichen hafteten fest an dem Schiff, dessen unbarmherziger Führer ihn ausgestoßen hatte. Als es völlig aus seinem Gesichtskreis verschwand, brach er in Tränen aus und versank dann in dumpfe Schwermut.

Als sein Bewußtsein wiederkehrte, umfing Nacht das Meer. Die Sterne senkten Mut und Vertrauen in seine Seele, das Gefühl seiner Unschuld stärkte ihn. Er betete lächelnd: »Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist!« und schlief ein.

Kaum hatten sich seine Augen geschlossen, als eine Schar von Delphinen das Boot umringte; sie umwanden es mit Ketten, die aus glänzenden Fischschuppen geschmiedet waren, und schlangen sich deren Ende um den Leib. Ein großer Schwarm von fliegenden Fischen tauchte aus der grünen Meerflut auf und flog dem Fahrzeug, das, von den Delphinen gezogen, rasch durch die Wogen schoß, als Wegweiser voran.

Als der erste Strahl der herannahenden Dämmerung über das Meer hinflog, sanken die fliegenden Fische in die Salzflut hinab, die Delphine lösten ihre Ketten und tauchten tief in den Abgrund; der junge, ausgestoßene Seemann erwachte.

Sein maßloses Elend stand hell und klar vor seiner Seele: »Warum soll ich langsam hinsterben, getäuscht von Furcht und Hoffnung, den langsamen, fürchterlichen Hungertod vor Augen? Viel besser, ich ende rasch. Ein Sprung in diese Fluten erlöst mich von jeder Qual!«

Er richtete sich auf, aber regungslos blieb er vor dem Bild stehen, das sich ihm darbot. Nahe vor sich sah er Land. Eine breite, den ganzen Horizont einschließende Felskette dehnte sich vor ihm aus; bald himmelhoch getürmte Berge mit schneebedeckten Gipfeln, bald tiefe Einschnitte, die den Blick in ein reizendes Tal gewährten.

Tränen der Freude stürzten aus seinen Augen; er setzte die Ruder ein und trieb sein Boot dem Strand entgegen. Ein wunderbarer Zauber schien auf diesem Teil des Ozeans zu ruhen; die Fläche desselben wurde immer ebener und den Fuß der Felsen umrauschte keine Brandung. Das Meer, von der steigenden Sonne bestrahlt, erschien wie ein ungeheurer Brennspiegel.

Maström traute seinen Augen nicht, als er jetzt nahe an die Küste kam, das Boot mitten durch die Felswand hinfuhr, und auf einer Blumenwiese stillstand. Er stieg aus und ging wie ein Träumender langsam weiter; aber wenn er die Hand nach den glänzenden Blumen ausstreckte, bogen sie sich zurück; er griff in die leere Luft: Alles schien nur Dunst und Schaum zu sein.

Plötzlich erblickte er eine aus Gold und Elfenbein kunstreich zusammengefügte Pforte mit der diamantenen Inschrift: »Reich der Fata Morgana.«

Als der Wanderer sich der Pforte näherte, sprang diese auf und er schritt ungehindert hindurch. Er stand vor einem reichblühenden Garten, der mit den seltensten Blumen und Gewächsen geziert war. Die Blätter an den Bäumen und Pflanzen aber strahlten in des Regenbogens sieben Farben und waren mit goldenen und silbernen Rändern eingefaßt. Kristallhelle Quellen plätscherten durch die Ebene hin und auf den Fluten wiegten sich kunstreiche Muscheln und andere seltsame Gestalten, die sich auf und ab bewegten und eine liebliche Musik ertönen ließen.

Der überraschte Jüngling blieb am Eingang dieses Zaubergartens stehen. Luftige Mädchengestalten schwebten ihm entgegen, winkten ihm mit süßem Lächeln und zogen ihn mit sanfter Gewalt in das Innere des Gartens.

»Wohin führt ihr mich, ihr schönen Engel?« fragte er leise, aber sie antworteten nicht, sondern tanzten, kaum den Boden berührend, vor ihm her. Da stieg aus der Tiefe ein Thron empor, der mit einem Meer von Sternen übersät war. Darauf saß ein Weib voll Schönheit und Majestät, anzuschauen wie eine Göttin und Königin, denn Himmlisches und Irdisches spiegelte sich auf ihrem Gesicht, beides in gleicher Vollkommenheit. Hier winkten die Mädchen ihm mit freundlichen Gebärden und verschwanden im Gebüsch.

»Sei mir in meinem Reich willkommen, Jüngling«, sprach die Herrscherin mit überaus lieblicher Stimme. »Durchwandere es nach allen Richtungen und sei ein glücklicher Bürger. Alle Schätze, die du hier siehst, sind dein, wie sie das Eigentum eines jeden sind, der hier seine Wohnung aufgeschlagen hat. Die Menschen schelten mich und das Reich meiner Wunder. Sie spotten meiner, sie nennen mich eine Dämonin des Unheils, die alles verspricht, aber nichts wirklich gibt, und nennen, was ich zu ihrem Heil beginne, eine endlose Täuschung. >Die Toren! Als ob sie es auf ihrer Erde besser hätten, als ob ihr Haschen und Streben nach Glück und Ruhm etwas anderes wäre als eine fortgesetzte herbe Täuschung, dessen größter Fluch ist, daß sie das Bewußtsein derselben mit sich herumtragen. Hier aber erwachen wir nicht zu einer solchen schmerzensreichen Überzeugung. Täuscht hier eine Hoffnung, geht in demselben Augenblick eine neue auf; in nie endender fröhlicher Erwartung schwinden unsere Tage dahin. Noch einmal – sei in dem Reich der Fata Morgana willkommen!« Sie streckte mit anmutigem Lächeln dem Jüngling ihre Rechte entgegen, und dieser, selig in dem Anschauen der reizenden Frau, beglückt von ihrer Schönheit, berauscht von dem bloßen Klang ihrer Worte, deren Sinn nicht erfassend, schwankte die Stufen des Throns hinan, um die dargebotene Hand zu fassen, aber plötzlich war das majestätische Weib verschwunden und an ihrer Stelle saß er selbst auf dem Thron, in der Hand das Zepter, auf dem Haupt die Krone.

Bestürzt ob des Unerwarteten streckte er die Hand mit dem Zepter aus, als wollte er ein geahntes Unheil von sich abwehren und von allen Seiten schwebten die Bewohner dieses luftigen Reiches heran. Ohne Aufenthalt trieben sie sich ruhelos im bunten Gewühl durcheinander, und einzelne Stimmen riefen: »Heil dir, der du unser König bist und dich unserer Königin vermählst. Du sitzest auf ihrem Stuhl und regierest an ihrer Statt. Sei ein weiser Fürst und betrübe deine treuen Untertanen nicht, wir gehören dir mit Leib und Seele und wollen jedem deiner Winke gewärtig sein.«

»Wohlan denn!« rief Maström und erhob sich von seinem Sitz, indem er gebietend auf die Menge schaute, die sich vor ihm neigte. »So will ich denn mitten unter euch treten, und indem ihr mir huldigt, die Freuden des Herrschertums mit vollen Zügen einschlürfen.«

Er stieg vom Thron und wollte sich in das bunte Gewühl der Menschen stürzen, das sich endlos vor ihm ausdehnte. Da sanken diese vor seinen Augen in den Abgrund, und an ihrer Stelle sproßte der Wald von Blumen auf, von seinem Haupt schwand die Krone, das Zepter entfiel seiner Hand, der Thron stürzte hinter ihm zusammen, er selbst sank, von einem bittern Schmerz durchzuckt, zu Boden.

Als er aus seiner Betäubung erwachte, lag er auf üppigem Rasen, am Ausgang eines Gehölzes. Vor ihm dehnten sich weite Saatfelder aus, in deren Mitte ein spiegelheller See erglänzte. An dessen Ufer standen einfache Häuser unter früchteschweren Bäumen, und unter diesen tanzte eine bunte Schar glücklicher Landleute. Mit Entzücken betrachtete er dies Bild glücklicher Menschen. Er sah ihre Tänze, er hörte ihre Gesänge, und in seiner Brust wurde der Wunsch lebendig, daß es doch diesmal keine Täuschung sein möge.

Er war so sehr im Anschauen der Szene, die sich vor ihm entfaltete, versunken, daß er einen Greis nicht bemerkte, der ihm seit geraumer Zeit zur Seite stand, und ihn aufmerksam beobachtete.

»Dies Bild eines einfachen, glücklichen Lebens gefällt dir, mein Sohn«, sprach der Greis. »Ich durchschaue dich und weiß, daß in deiner Brust sich der Gedanke regt, unter diesen Glücklichen zu wohnen und ihre Lust und ihre Freuden, ihre Arbeit und ihre Sorge zu teilen.«

Ein Glutstrahl flammte aus den Augen des Jünglings: »Wenn mir das vergönnt wäre!«

»Es ist dir vergönnt«, sprach der Greis. »Ich will dich zu ihnen geleiten.«

Beide gingen nebeneinander her und verkürzten sich die Zeit mit fröhlichen Gesprächen, als sie aber das Ziel fast erreicht hatten, verschwand der Greis und alles hüllte sich in einen undurchdringlichen Nebel. Abermals bitter getäuscht, warf sich der Jüngling im Schmerz zu Boden und netzte ihn mit seinen Tränen.

Aufs neue erweckte ihn ein Strahl der Hoffnung zum fröhlichen Leben, aber ebenso schnell stürzte sie ihn wieder in den Abgrund der Verzweiflung. Der Strahl der Liebe drang in sein Inneres, allein als er den heiß ersehnten Gegenstand an sein Herz drücken wollte, war er verschwunden. Nacheinander winkten ihm das Glück der Freundschaft, die Fülle des Reichtums und die Macht des Wissens; aber alles wich vor ihm zurück, wenn er die Frucht des Strebens genießen wollte, und nichts blieb, als eine herbe bittere Täuschung, die ihm heiße Tränen erpreßte.

Von so vielen Erwartungen betrogen, gestürzt aus so vielen Himmeln, die ihm nach und nach die Befriedigung seiner Wünsche verheißen hatten, sank er, vom Schmerz überwältigt, zusammen und klagte den Himmel an, daß er ihn zu einem so traurigen Dasein erhalten habe. Da sah er durch den Tränenschleier eine majestätische Frauengestalt, die mit sanfter Stimme sprach: »Worüber beklagst du dich, Sterblicher? Du bist an der Küste meines Reiches gelandet und ich habe dich gastfreundlich aufgenommen. Du hast die Glückseligkeit genossen, die seinen Bewohnern zuteil wird und die Täuschungen erfahren, deren keiner von ihnen entgeht. Du hast in einem Spiegel das Geschick deiner Zukunft geschaut. Die Zeit, die du in meiner Nähe zubrachtest, ist dir nicht verloren. Wenn du wieder zu deinen Brüdern zurückkehrst, wirst du Kraft genug besitzen, um wegen einer fehlgeschlagenen Hoffnung nicht zu unterliegen. Das ist der Segen, den ich dir mitgebe, in dem Augenblick, da du im Begriff bist, mein Reich zu verlassen.«

Beruhigt von diesen milden Worten sank Maström huldigend vor der Königin in den Staub. In seine Seele war stiller Frieden eingezogen, und frohen Mutes schritt er wieder durch die Pforte hinaus, durch die er früher in das Reich des Zaubers eingetreten war.

Wiederum war es Morgen, und ein tiefblauer Himmel strahlte auf die Küste von Finnland herab. Am Strand sammelten sich die Fischer und blickten auf das Meer hinaus. Hoch auf den Wellen schwebte ein schwarzer Punkt, der ihre Aufmerksamkeit fesselte.

»Es ist ein schlafender Walfisch!« rief der eine.

»Oder ein Boot!« ein anderer.

Es war ein Boot. Die Wellen trugen es immer näher und warfen es endlich hoch auf den Sand. Alle Neugierigen eilten herbei und fuhren vor Erstaunen zurück, als sie darin einen Mann erblickten, der am Boden ausgestreckt lag und sanft schlief. Sie mußten ihn stark rütteln, bis er erwachte.

»Ein Wunder! Ein Wunder!« schrien die Männer. »Das ist Uli Maströms Sohn, des wetterkundigen Mannes, den wir mit seinem Schiff auf entfernten Meeren glaubten, und der uns nun plötzlich in der Heimat erscheint.«

»Wie kommt es, daß du, nach länger als einem Jahr, auf diese Weise zu uns zurückkehrst?«

»Ich weiß es nicht. Eine unsichtbare Hand hat mich hierher geführt. Wohin sie mich aber in Zukunft noch leitet, sie wird mich stets zum Glück führen. Von ihr bin ich während eines langen Weges beschirmt worden und ich habe erkannt, was zu meinem Frieden dient. Geleitet mich in die Hütte meines Vaters, dort will ich euch erzählen, was mir begegnet ist. Fortan wird dort nur Freude sein, denn ich will ihn nicht dadurch betrüben, daß ich stets von ihm wegstrebe, einer unbekannten Ferne, einem unbekannten Glück entgegen. Ich werde in meiner Beschränktheit zufrieden sein, seit ich weiß, daß unser Heil nur in unserer eigenen Brust ruht und ohne dasselbe alle Herrlichkeiten, alle Pracht, aller Glanz, die das Leben uns bieten, nichts als eine herbe Täuschung sind.«

Das steinerne Schiff

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Es war eine laue, mondhelle Sommernacht. Ein leichter Ostwind kräuselte die Wellen des Ozeans und eine Schar fliegender Fische tauchte silberglänzend aus seinem Wasserspiegel auf. Da schoß ein kühner Segler durch die kristallhelle Flut, die großen vollen Segel dem Mondlicht entgegenbreitend. Es war die königlich französische Fregatte ›Ludwig der Vierzehnte‹ die am folgenden Tage den Ort ihrer Bestimmung, die dänische Insel St. Thomas1, zu erreichen hoffte. Der Aufenthalt im Freien war erquickend, und die Offiziere saßen an einer runden Tafel in der Mitte des Quarterdecks, fleißig dem Glase zusprechend.

Der Kapitän der Fregatte, Jacques St. Ange, ein junger, lebensfroher Mann, führte das Wort, und zum Segelmeister gewendet, der unruhig umherspähend an der Reling lehnte, sagte er: »Was habt Ihr, Valry? Ihr vergeßt Glas und Gesellschaft. Das ist doch sonst Eure Sache nicht.«

»Ich suche das steinerne Schiff«, entgegnete dieser fast mürrisch, »und kann die verdammte Klippe nicht finden. Nach meiner Berechnung hätten wir sie schon vor zwei Stunden und ganz in der Nähe haben müssen.«

»Wie kommt es, daß ein steinernes Schiff Euch so mißmutig machen kann?« fragte der Kapitän; »habt Ihr doch eine Fregatte unter Euren Füßen, so gut wie je eine aus Holz und Eisen auf den Werften von Brest oder Toulon erbaut ward.«

Der Segelmeister nahm das Wort: »Weil ich von dem Punkt aus einen neuen Kurs setzen wollte, und weil ich mich ärgere, daß das Auge eines Mannes trügen kann in mondheller Nacht.«

Das Gespräch über diesen Gegenstand wurde allgemein. Mehrere Offiziere gaben ihre Meinung ab, und der Segelmeister hörte aufmerksam zu, während er oftmals den forschenden Blick über die weite Fläche hingleiten ließ.

An Bord der Fregatte war noch ein Geschöpf, das bereits die Aufmerksamkeit manches Fremden erregt hatte, wenn das Schiff irgendwo ankerte. Es war ein kleiner, mißgebildeter Neger, dessen Jahre seiner Gestalt weit voran geeilt waren. Er gehörte zur Bedienung des Kapitäns; dessen mutwillige Laune hatte ihn in ein phantastisches Kostüm gesteckt und das schwarze Gesicht mit den glänzenden Augen blickte unter dem schneeweißen Turban gar seltsam hervor. Monkey – mit seinem Spottnamen so geheißen – stand hinter dem Sessel des Kapitäns und hörte dem Gespräch aufmerksam zu, das eben jetzt mit erneuter Lebhaftigkeit geführt wurde.

»Es ist aber nicht abzustreiten«, sagte der Kapitän, »daß jene Klippe, die das steinerne Schiff heißt, die größte Ähnlichkeit mit einem Schiff hat, das mit vollen Segeln durch die Wogen schießt; ja ein sonst ganz tüchtiger Offizier fühlte sich sogar durch solche Täuschung veranlaßt, auf sie zu schießen, weil seinen Signalen nicht die gebührende Antwort gegeben wurde. Er blieb die ganze Nacht in ihrer Nähe und ihr könnt euch denken, daß er, sobald es Tag wurde, mit nicht geringer Beschämung von dannen zog.«

Die Offiziere lachten laut auf, und der Segelmeister Valry sagte: »Es sollte mich wundern, wenn darüber nicht im Munde des Volkes eine lange Geschichte von Hexen und Zauberern existierte. Es muß gleich alles mit seinem Aberglauben beklecksen.«

»Das fehlte noch, daß die Offiziere einer königlich französischen Fregatte sich mit Kindermärchen unterhalten«, sprach St. Ange mit Lachen. »Aber unser Segelmeister hat doch nicht eher Ruhe, bis dieser Stein von seinem Herzen gewälzt ist. Wer also etwas davon weiß, der bringe es vor.«

Der Kapitän sah mit einem auffordernden Blick im Kreise umher, aber alle schwiegen. Da richtete Monkey sich auf und das Haupt seltsam hin und her bewegend, sprach er laut: »Ich weiß es!«

»Dachte ichs doch!« rief Valry mürrisch, die übrigen Offiziere lachten und Kapitän St. Ange befahl seinem Neger, zu erzählen.

Der Neger setzte sich mit gekreuzten Beinen auf das Deck und begann: »Ein rauher Sturmwind hatte mit den Palmenwäldern meiner Heimat gespielt; jetzt kam die Sonne und verjagte die trüben Wolken. Der Himmel glänzte lieblich und milde. Da trat Zora aus ihrer Hütte, kniete nieder und betete zu dem Unsichtbaren, den mein Volk verehrt und nicht, wie die übrigen Stämme, einen albernen Fetisch, der nichts ist und nichts kann. Zora war ein schönes Mädchen, und als sie hinkniete, fächelten die Palmen ihr Kühlung zu und rauschten zusammen, alles zum Lobe Zoras und des Unsichtbaren. Ihr Gebet war beendet und sie blickte forschend nach dem Bananenwald, der sich längs der Küste ausdehnte. Gleich darauf erschien Abu an dessen Eingang und wie eine flüchtige Gazelle lief ihm Zora entgegen. Abu war der schönste Mann im ganzen Stamm und der Geliebte Zoras. Da trat Thorus zu ihnen und grüßte sie schweigend. Thorus aber war ein alter Mann und von dem ganzen Volk hochgeehrt, denn er war weise, hatte Wissen von verborgenen Dingen und besaß die Gabe, die Zukunft zu enthüllen. Abu und Zora knieten vor Thorus, und baten ihn, daß er sie segne. Er schloß sie in seine Arme und sagte: ›Das Licht flammt in meinem Haupt; ich sehe in meinem Geist trübe Dinge nahen; darum gebt acht, daß ihr nicht unterliegen möget!‹

Die Liebenden waren erschrocken und fragten den weisen Vater nach der Ursache seines Trübsinns. Der aber sagte: ›Es gibt noch andere Völker auf Erden, von anderer Farbe und anderen Sitten als wir. Ihr Gesicht ist weiß und glänzend und sie rühmen sich, die Lieblinge und Auserwählten des großen Unsichtbaren zu sein. Nie haben wir sie, noch sie uns gesehen, aber mein Sinn ist unruhig und ich bin gezwungen, stets daran zu denken, daß eine Prophezeiung vor vielen tausend Sonnen geschah, daß diese Söhne des Lichts sich unserem friedlichen Land nähern und großes Leid über uns bringen würden.‹

Die Liebenden fürchteten sich vor dieser Verkündigung und schlossen sich, Tränen in den Augen, fester aneinander. Gerührt blickte Thorus sie an: ›Wenn diese Fremdlinge kommen, um uns Gewalt anzutun und den Bund unschuldiger Liebe zu stören, dann soll die Rache der Finsternis sie treffen und keine Macht sie vom Verderben erlösen!‹

Er murmelte noch viele unverständliche Worte, schwang seinen Stab nach allen Himmelsgegenden und blieb hoch aufrecht stehen. In demselben Augenblick erhob sich ein seltsames Brausen, die Luft zitterte, der Boden wankte. Thorus aber sprach ruhig: ›Der Seewind erhebt sich plötzlich mit ungewöhnlicher Stärke; laßt uns sehen, was er uns zuführen wird!‹

Sie gingen zusammen an den Strand des Meeres. Ein seltsames Gebilde mit schwarzem Rumpf und weißen Flügeln, wie man es in jener Gegend noch nie gesehen hatte, schwamm auf dem Wasser heran und kam immer näher.

›Das sind die Weißen!‹ rief Thorus unruhig. ›Sie fahren mit ihren Häusern auf dem Meer und spielen mit dem Donner!‹

Bald war der ganze Strand mit Negern angefüllt, die zwischen Furcht und Neugier das ihnen ungewohnte Schauspiel anstaunten. Die Fremdlinge betraten das Ufer, verständigten sich mit den Eingeborenen durch Zeichen und wurden gute Freunde. Sie führten ein flüssiges Feuer mit sich, wovon sie den Leichtbetrogenen mit großer Bereitwilligkeit zu trinken gaben, und kaum hatten diese den Feuertrank genossen, als sie in unsinniger Lust durcheinander rasten und alles herbeiholten, was sie nur irgend besaßen. Lange Zeit brachten die Weißen am Ufer zu, ließen sich von den Schwarzen bedienen und spendeten immer bereitwilliger ihren Feuertrank. Umsonst versuchte Thorus, seine Landsleute zur Besinnung zurückzuführen, der Taumel war zu groß und seine Rede fand nur taube Ohren. Nur Abu und Zora wandten sich scheu von den taumelnden Brüdern ihres Stammes und schmiegten sich an Thorus.

Endlich war es dem Häuptling der Fremden gelungen, einiges aus der Sprache des Volkes zu lernen und eines Tages sagte er: ›Ich habe viel Gutes von euch erfahren und will euch wieder Gutes tun. Kommt alle, soviel nur Platz finden, auf mein Schiff, ich will euch bewirten und euch bedienen wie meine Brüder.‹

Mit lautem Jubelgeschrei wurde das Anerbieten aufgenommen und was in den Booten, die am Ufer lagen, nicht Platz fand, sprang in die See und schwamm dem Wundergebäude zu.

Zora und Abu wollten zurückbleiben, aber ihre Väter zwangen sie, mitzugehen, denn sie waren das schönste Paar im Stamm und sollten vor dem fremden Führer tanzen. Thorus begleitete seine Lieblinge. Als alle auf dem Schiff angelangt waren, ließ sich Musik hören und hocherfreut sprangen die armen, getäuschten Neger durcheinander. Sie tranken dazwischen den Feuertrank in langen Zügen, einer nach dem andern fiel um und bald lagen sie alle, vom Schlaf ergriffen, hingestreckt, nur Thorus nicht und seine Lieblinge, die in einer Ecke des Schiffsraumes saßen und ruhig das Ende der Dinge erwarteten.

Jetzt änderte sich auf dem Schiff plötzlich die Szene. Die Musik schwieg und die Europäer stürzten sich raubgierig auf die betrogenen Unglücklichen, knebelten sie und schichteten sie im Raum nebeneinander. Nach und nach erwachten die und des Winselns war kein Ende.

Da stürzte Thorus auf das Deck und stellte den Hauptmann zur Rede. Der aber lachte laut auf und befahl, die schwarze Bestie zu greifen. Inzwischen hatte die Mannschaft die Anker gelichtet, und das Schiff flog mit vollen Segeln auf die hohe See hinaus.

Thorus wehrte die Matrosen von sich ab und schlug mit seinem Stab den nächsten über den Kopf, daß er laut schreiend zu Boden fiel. Er richtete sich drohend auf und die Augen rollten im Kopf wie zwei glühende Kohlen. Alle wichen scheu zurück, der Hauptmann aber sagte mit leisem Schauer: ›Der eine wird uns nicht mehr schädlich werden. Laßt ihn laufen und uns mit seinen Possen die Zeit vertreiben.‹ So blieb Thorus von der schmählichen Fessel befreit. Abu und Zora aber lagen gebunden neben ihren Vätern im Schiffsraum.

Ein Tag nach dem andern ging hin.

›Wir werden einen guten Handel machen, wenn wir mit der schönen Ware an den westindischen Markt kommen‹, sprach der Hauptmann zu seinem nächsten Untergebenen, und dieser wollte satanisch grinsend etwas darauf erwidern, als Thorus herantrat und fragte, ob es in Wahrheit seine Absicht sei, sie zu verkaufen? Als beide Offiziere dies lachend bekräftigten, warf er ihnen einen stechenden Blick zu und stieg schweigend zu seinen Genossen in den Schiffsraum.

›Thorus! Thorus!‹ schrien alle wie aus einem Munde. Er aber winkte mit der Hand und es herrschte augenblicklich Totenstille. Er sprach zu ihnen lange und eindringlich, sie hörten ihm aufmerksam zu und brachen dann in lauten Jubel aus.

Am andern Morgen stieg der Alte auf das Deck in dem Augenblick, als die Wärter die karge Nahrung brachten. Aber mit furchtbarem Geschrei kehrten diese zurück, denn keiner der Gefangenen bewegte sich; Thorus hatte sie während der Nacht mit seinem Zauberstab getötet.

Außer sich vor Wut warf sich der Hauptmann auf den Alten. Dieser aber berührte die Männer der Besatzung nacheinander, worauf sie erstarrten. Dann begann er seine Beschwörungen, neigte sich nach allen Himmelsgegenden und sprang in die See.

Unbeweglich stand die Besatzung, unbeweglich stand auch das Schiff. Die Sonne ging unter und die Nacht brach herein, ohne daß irgendeines Leben und Bewegung empfangen hätte; alles lag wie gefesselt in der flüchtigen Flut.

Am anderen Morgen erblickte ein fremdes Schiff einen Segler in geringer Entfernung von sich. Verwundert über dessen eigentümliche Bauart, hielt es gerade auf ihn hin, bald aber kehrte es auf die rechte Bahn zurück, denn vor ihm lag ein großer Stein.«

Der Erzähler schwieg. Die Offiziere der Fregatte ›Ludwig der Vierzehnte‹ sahen einander an. Monkey stand auf und ging davon.

In demselben Augenblick rief eine Stimme vom Vortopp: »Segler in Lee!«

»Segler in Lee! Segler in Lee!« erscholl es von allen Seiten.

Die Offiziere sprangen auf und der Segelmeister Valry eilte zum Fernrohr.

»Wahrhaftig!« rief er. »Ein stolzes Schiff! Wie sonderbar seine Segel sich blähen! Fast unheimlich! Kapitän Saint Ange, was haltet Ihr von diesem Segler?«

Bei diesen Worten drehte er sich um. Vor ihm stand Monkey grinsend: »Das ist kein Segler, das ist der Stein!«

Der fliegende Holländer

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Hoch auf den Wellen bewegte sich still und unheimlich der mächtige Rumpf eines Ostindien-Fahrers, der sich der Tafelbai2 gegenüber befand.

Seit drei Tagen kämpfte er vergebens mit einer Windstille. Die kaum gefüllten Obersegel brachten ihn nur wenig von der Stelle, und die heftige Strömung des Meeres trieb ihn unwiderstehlich seitwärts.

Hundert Augen hingen an der blauen Himmelsdecke, ob nicht irgendwo ein Wölkchen zu erspähen sei, von dem man die Rettung aus der stets wachsenden Gefahr erhoffen könne; aber die war klar und durchsichtig und spiegelte sich in dem glatten Meer wider.

Ein trüber Geist des Unmuts, der noch eine verborgenere Ursache als den der Windstille hatte, beherrschte das Schiff, das den stolzen Namen ›Gelderland‹ führte und der Stolz der holländisch-ostindischen Handelsflotte3 war. Der böse Geist, der den Frieden aus seinen Kajüten und von seinem Verdeck verjagt hatte, war der Kapitän desselben, Mynheer Claas van Belem, ein stolzer, herrschsüchtiger Mann mit einem versteinerten Herzen und einem belasteten Gewissen. Die Offiziere gingen lautlos auf und ab und warfen verstohlene Blicke nach dem Eingang der Kajüte, fürchtend, daß ihr Oberhaupt erscheinen werde. Die Matrosen ließen sich gar nicht sehen; sie hockten hinter den Booten, dem Spill und den Wasserfässern und flüsterten sich scheu und verstohlen ihre Bemerkungen und Befürchtungen zu.

Ein alter, bärtiger Matrose, der dreimal sieben Jahre auf Ostindien gefahren war, lag auf dem Bugspriet in dem Netz des Stagsegels und schaute auf einen jüngeren Genossen, der dicht unter ihm auf der blinden Rah saß. »Wir gehen hier vielem Unglück aus dem Wege«, sprach der junge Seemann von unten herauf. »Der Dienst auf dem Bugspriet hat sein Gutes. Das auswehende Jacksegel macht, daß wir vom Deck aus nicht gesehen werden können, und das Rauschen vor dem Bug übertönt unsere Worte. Wir können ohne Scheu miteinander reden.«

»Bis uns einer über den Hals kommt, der stark genug ist, uns das Maul zu stopfen: uns hier vorne und denen auf dem Quarterdeck. Hier in der Tafelbai ist nimmer etwas Gutes für einen Seemann zu hoffen und der soll seinen Gott preisen, der sie mit leicht gerefften Segeln rasch durchschneidet. Wir liegen nun schon drei Tage darin, ohne von der Stelle zu kommen, und wenn der erscheint, dessen Namen ein frommer Seemann nicht aussprechen soll, ohne ein Gebet herzusagen –«

»Ich weiß schon«, unterbrach ihn jener. »Ihr meint Vanderdecken, den Fliegenden Holländer.«

»Still, du Unglücksbursche!«

»Nun? Ich werde doch wohl von ihm reden können? Ist sein Name so gefährlich, daß er Euch vergiftet, wenn Ihr ihn in den Mund nehmt? Alles Glück mit Hollands Flagge! Sie wird ebenso ungestört von unserer Gaffel wehen, wenn Kapitän Vanderdecken sich tausend Meilen4 von uns befindet, als wenn er auf Kanonen-Schußweite in unser Kielwasser steuert; denn, mein guter Schiffsmaat, ich muß Euch nur sagen, daß ich von der Geschichte nicht sonderlich viel glaube und sie eher für altes Weibergeklatsche als für Wahrheit halte.«

Der bärtige Matrose ward blutrot vor Zorn und richtete sich halb auf: »Die Pest auf deinen Leib, du Hund! Noch einmal stoße solche Lästerung aus, und ich gebe dir einen Fußtritt, daß du rücklings in die See fällst!«

Der junge Seemann eilte mit großer Schnelle nach dem Außenende der Rah und rief: »Seht zu, ob Ihr mich hier mit Eurem Fuß zu erreichen vermögt!« Er hielt einige Augenblicke in seiner gefährlichen Stellung aus, dann aber schwang er sich wieder einwärts und sagte: »Meine Ration Genever5 sollt Ihr zwei Tage hintereinander haben, wenn Ihr mir sagt, ob etwas an dieser Geschichte mit dem Fliegenden Holländer ist, und was Ihr von der Geschichte eigentlich wißt. Denkt nur, zwei Rationen!«

Dieser Versuchung konnte jener nicht widerstehen; er überwand seine Furcht vor dem Gespensterschiff und begann: »War der Kapitän eines großes und mächtigen Schiffes, dieser Vanderdecken; reiches Gut im Raum und böses Volk in seinen Kojen. Er selbst war der Ärgste an Bord und raste und tobte während einer ganzen Reise mit und ohne Ursache. Wenn er aber in seine Kajüte hinabstieg, schloß er sich ein.

Kein Mensch durfte versuchen, herein zu kommen, wenn ihm sein Leben lieb war, und dann gingen die Greuel erst recht an. Er lärmte und tobte, stampfte mit den Füßen und sprach laut vor sich hin, doch so undeutlich, daß man nicht eine Silbe verstehen konnte. Oft erhielt er auch Antwort von einem Dritten, dessen Gegenwart niemand bemerkte, und wenn dieser sprach, war es ein Lärmen, als ob alle Geister der Hölle zugleich losgelassen würden. Manche wollen sogar gespürt haben, daß es nach höllischem Feuer roch. Gewiß ist es, daß nach einem solchen Versuch jedesmal ein heftiger Sturm folgte, der das Schiff in die größte Gefahr brachte. Ging nun Kapitän Vanderdecken nach einer solchen, vom Teufel unterstützten, Reise vor Anker, dann begab er sich sogleich ans Land und brachte dort alle Teufeleien an, die er unterwegs von dem alten Höllenburschen gelernt hatte.«

»So trieb er es wohl nicht besonders in Zucht und Ehren«, fragte der junge Matrose, »und es ist am Ende wahr, daß er dem Weibsvolk absonderlich mitgespielt haben soll?«

»Der Teufel lasse ihm seine Niederträchtigkeiten wohl bekommen«, brummte jener. »Er büßt sie jetzt ab und wird büßen müssen bis an das Ende aller Tage. Hoch auf den Dünen der Nordsee und fern von jedem bewohnten Ort hatte er ein großes Haus zum Eigentum, darin trieb er sein Unwesen. Innerhalb der wohlverschlossenen Pforte saß ein altes Hexenweib als Wächterin, die war ihm treu ergeben und mit allen boshaften Ratschlägen schnell bei der Hand. Brachte ihm sein Gevatter Pferdefuß6 aus den Töchtern des Landes einen fetten Bissen zur Büßung seiner bösen Lust, dann nahm die Alte sie erst vor und richtete sie gehörig ab, damit der gestrenge Gebieter keinen Anlaß zur Klage haben sollte. Dafür soll der Teufel dieser Alten besonders geneigt gewesen sein und hat versprochen, ihr den ganzen reichen Nachlaß des Gebieters zuzuwenden, wenn er diesem eines Tages den Hals umdrehen werde.«

»Und hat die Hexe diese Erbschaft bekommen?«

»Nichts hat sie bekommen. Der Teufel sagte, sie solle erben, sobald er dem Vanderdecken den Hals umgedreht habe; aber dieser lebt gewissermaßen heute noch, und das ist ja eben die Teufelei, daß der Teufel seine eigene Base bei dieser Gelegenheit betrogen hat. Sie ging leer aus und er braucht das erbeutete Gold nun dazu, um unschuldiges Blut in seinen Schlingen zu fangen. Alle Goldstücke, welche die ostindische Compagnie uns zeigt, sind solche Teufels-Lockspeise, und das ehrliche Seemannsblut geht richtig in die Falle. Ich für mein Teil bin nun schon viermal hineingeplumst, denn eine Reise nach Batavia7 ist nichts anderes als ein Kreuzzug nach der Hölle, von dem Ihr mit leeren Taschen heimkehrt, und der ärgste Streich, den Euch der Teufel spielt, ist der, daß bei der Abrechnung jedesmal Null mit Null aufgeht und Ihr von Glück sagen könnt, wenn Ihr eine Handvoll Silbergulden8 kriegt. Aber um wieder auf den Vanderdecken zu kommen und damit ich meinen Genever ehrlich verdiene: Es wurden in dem alten Hause arge Dinge angestellt und die Mädel waren dir so gelehrig, daß sie das tollste Zeug trieben, was nur von ihnen verlangt wurde. Nun dauerte aber eine solche Freude nicht lange, und wenn er einer Dirne satt war, gab er ihr nicht etwa eine Handvoll Gold und schickte sie fort; nein, er drehte ihr den Hals um, damit sie nicht ausplaudern sollte, wie es bei ihm zugehe. Brach dann die Nacht herein, so steckte er, mit Hilfe seiner Hexe, die Leiche in einen großen Sack; sie schleppten diesen an den Strand und warfen ihn in die See. Wenn nun der Sack hineinplumpste, und die See darüber zusammenschlug, lachten die beiden Bösewichter laut auf, und der Teufel antwortete ihnen von ferne.

Einstmals aber nahm das Ding ein unerwartetes Ende. Der Teufel hatte wieder ein kostbares Stück für seinen Freund ausgesucht und brachte es ihm. Es war ein Mädchen wie Milch und Blut und das Schönste, was Vanderdecken bisher gesehen hatte. Der Teufel hatte sie geraubt, als sie aus der heiligen Messe kam, in demselben Augenblick, als sie dem harrenden Diener das Meßbuch zu tragen gab, denn vorher hatte er keine Macht über sie. Man sagt, die Jungfrau habe in jenem Augenblick an ein großes Kirmesfest gedacht, wo sie ihren Herzallerliebsten treffen sollte; darüber sei ihr Gemüt in weltliche Dinge versenkt und die Messe vergessen worden. Dies benutzte der Teufel und führte sie ungesehen nach dem Hause Vanderdeckens. Die alte Hexe gab sich mit dem schönen Kind die allererdenklichste Mühe, aber es wollte ihr nicht gelingen. Alles war vergebens, und wenn die Alte ihr das Sündenleben in den schönsten Farben malte, fiel die Jungfrau auf die Knie und betete um Erlösung aus diesem Elend. Da erwachte der Zorn der Alten und brach maßlos über das arme Kind herein. Sie schlug es und eilte zu Vanderdecken, die widerspenstige Dirne bei ihm zu verklagen. Dieser geriet ebenfalls in Wut und rannte nach dem Flur, wo sich das fromme Mägdelein befand, um sie auch zu züchtigen. Als er ihrer jedoch ansichtig ward und den Heiligenschein bemerkte, der von ihr ausging, bemächtigte sich seiner ein sanfteres Gefühl, und er suchte sie durch freundliche Worte zu kirren9. Aber welche Künste er auch versuchen mochte, alles blieb fruchtlos, denn lieber wollte sie ihren Leib mit ihren Nägeln zerfleischen, als zugeben, daß er ihn mit seinen unheiligen Händen berühre. Da wurde Vanderdecken noch dreimal zorniger und außer sich rief er: ›Wenn du der Bitte eines Mannes widerstehst, der sich zum ersten Male zu solcher Feigheit erniedrigte, so wollen wir sehen, was die Gewalt über dich vermag. Steh mir bei, Hexenweib! Wir wollen ihr zeigen, wie dem geschieht, der sich dem Willen Vanderdeckens widersetzt!‹ Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, als beide über das arme Geschöpf herfielen und sie jämmerlich schlugen. Lange ertrug sie diese barbarische Behandlung nicht, sondern sank tot zu den Füßen ihrer Peiniger nieder. Darüber verzehrte sich Vanderdecken fast vor Zorn und goß all seine Wut auf den Nacken seiner Hexe aus; dann aber nähten sie auch dies Mägdelein in einen Sack und trugen es zum Meer.«

»Das ist eine grauenhafte Geschichte, Schiffsmaat«, sprach der junge Matrose, sich schüttelnd; »wie ward es denn weiter?«

Der Bärtige fuhr fort: »Ich will es zu Ende bringen. Sie schleppten also den Leichnam nach dem Strand und stürzten ihn in die See. Diemal lachten sie nicht dabei, aber desto lauter lachte der Teufel: denn das ist ein feiner Bursche und er mochte wohl merken, daß er seinen Freund Vanderdecken jetzt beim Schopf habe. Kaum aber war das Gelächter des Teufels verhallt, als man ein helles Klingen vernahm, und obgleich der Himmel von düsteren Wolken eingehüllt war, verbreitete sich doch ein so heller Schein auf dem Meer, als ob es vom Mond beschienen würde. Und in diesem Augenblick tauchte auch die Leiche der frommen Jungfrau aus den Wellen auf, das bleiche Antlitz zu Vanderdecken gewendet und ihm unaufhörlich die Worte zurufend: ›Folge mir! Folge mir!‹ Das brachte ihn so sehr außer sich, daß er sich kopfüber in die See gestürzt hätte, wenn ihn die Hexe nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte, wobei sie vom Teufel tüchtig unterstützt wurde, denn der hatte ihm ein weit schlimmeres Ende zugedacht. Darum flüsterte er dem halb besinnungslosen Kapitän zu, die Jungfrau sei gar nicht tot, und er könne sie für seine Lust retten, wenn er nur wolle.

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