Wyatt Earp 145 – Gegen die Allysons

Wyatt Earp –145–

Gegen die Allysons

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-795-1

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Es war spät am Abend, als der Reiter von Süden her in die Stadt einritt.

Der Mann war hochgewachsen, breitschultrig und trug ein graues Kattunhemd zu seiner engen schwarzen Leinenhose. Den breitrandigen Hut hatte er tief in die Stirn gezogen. Um die Hüften trug er einen schwarzen büffelledernen Waffengurt, der in den Halftern über den Oberschenkeln je einen schweren fünfundvierziger Revolver hielt.

Das Gesicht des Reiters war in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Hätte man es im Tageslicht betrachten können, so würde man in ein sehr markant geschnittenes Männergesicht gesehen haben, das von Wind und Sonne tief gebräunt war und von einem dunkelblauen Augenpaar beherrscht wurde.

Blauschwarzes dichtes Haar blickte unter der Krempe des Hutes hervor. Der Mund war energisch, gutgeformt die Nase, und über den mit langen Wimpern besetzten Augen lagen hochgeschwungene Brauenbögen.

Es war das Gesicht des Marshals Wyatt Earp!

Der Missourier hatte einen weiten Ritt hinter sich. Fünfundsechzig Meilen waren es von Lamesa herauf nach Lubbock. Und ein weniger guter Reiter hätte für die staubige Strecke durch die Sonnenglut des texanischen Sandes sicher die doppelte Zeit benötigt.

Wyatt führte seinen hochbeinigen edlen Falbhengst auf das noch offenstehende Tor eines Mietstalles zu, wo ihm eine hagere gebeugte Frau entgegenkam, die eben schließen wollte.

»Kann ich das Pferd für die Nacht bei Ihnen unterstellen, Madam?« fragte der Marshal, nachdem er gegrüßt hatte.

Die Frau suchte in dem diffusen Lichtschein, der von einer Stallaterne aus dem Schuppeneingang kam, sein Gesicht zu erkennen, und schüttelte dann den Kopf.

»Nein, das geht nicht«, versetzte sie unfreundlich. »Unsere Boxen sind alle besetzt.«

»Keinen Notstall frei, hinten in der Scheune?«

Die Frau blickte verblüfft auf.

»Woher kennen Sie unsere Scheune so genau?« fragte sie argwöhnisch, wobei sie das Tor bis auf einen Spalt zuschob.

»Weil ich mein Pferd schon einmal dort untergestellt hatte, vor drei Jahren. Damals lebte der alte Mr. Sanders noch. Ich habe mich mit ihm über Montana unterhalten…«

Da schob sich aus dem Schuppen eine Gestalt heran, untersetzt, vierschrötig, uralt. Eine krächzende Greisenstimme schlug dem Mann am Tor entgegen.

»Der alte Sanders lebt immer noch! Das walte Manitou! Aber wenn mich meine Ohren nicht täuschen, dann ist da ein Mietstallkunde, Mary, für den wir noch zwölf oder auch fünfzehn Boxen frei haben oder frei machen würden, wenn er es verlangte!«

Der alte Mann schob die Frau beiseite und trat in die Türöffnung. Seine Hände glitten über den schönen Kopf des Falben, und dann rief er erfreut:

»Ich fresse eine Heugabel, wenn ich schon einmal einen prächtigeren Gaul gesehen habe, als den meines alten Freundes Wy…«

»Hallo, Pit Sanders!« rief rasch der Marshal, der verhindern wollte, daß der Alte hier seinen Namen laut nannte. Wyatt sprang aus dem Sattel und begrüßte den Mietstallbesitzer herzlich. »Freut mich, Sie noch munter auf den Beinen vorzufinden. Heavens, Sie müssen doch bald fünfundachtzig zu fassen haben!«

Der Greis lachte dröhnend auf.

»Legen Sie noch sechs Sommer zu, old Boy!«

Als sie hinten im Hof waren und Sanders die Stalltür geöffnet hatte, sah Wyatt im Lichte zweier kleiner Kerosinlampen einen jungen Pferdeknecht einen abgetriebenen Gaul striegeln, der als einziger in einer ganzen Reihe leerer Boxen stand.

»Meine Schwiegertochter hat Sie wohl abgewiesen?«

»Ja«, entgegnete Wyatt.

Der Alte zog den Falben in den Stall, zwinkerte dem Marshal zu und deutete mit einer kurzen erklärenden Kopfbewegung auf den Burschen. Er sprach erst, als er mit Wyatt wieder allein im Hof stand.

»Das ist nämlich so, Marshal. Vor zwei Stunden kam Lumbace und sagte, daß wir uns in acht nehmen sollten. Pecos-Bill sei in der Gegend. Daher die Vorsicht meiner Schwiegertochter.«

»Pecos Bill?« meinte der Marshal verblüfft. »Aber das ist doch nicht gut möglich. Ich habe vor zwei Tagen gehört und auch gelesen, daß er oben in Wyoming ist. Wenn er hier sein sollte, müßte sein Gaul Flügel haben.«

Sanders blickte verwundert drein.

»Was soll denn das bedeuten? Lumbace behauptete es doch steif und fest. Und meistens sind seine Informationen in Ordnung.«

Greg Lumbace war seit einiger Zeit Sheriff in Lubbock. Wyatt kannte ihn flüchtig und hatte einiges von ihm gehört. Es sollte ein sehr strenger und harter Sheriff sein. Allerdings muß gesagt werden, daß in einer texanischen Sandstadt wie Lubbock ein eisern durchgreifender Gesetzesmann durchaus am Platze war. Greg Lumbace aber sagte man eine Härte nach, die unnötig war.

Wyatt unterhielt sich eine Weile mit dem alten Mietstalleigner und bat ihn, niemandem etwas von seiner Ankunft in der Stadt zu sagen.

»Habe ich schon am Tor kapiert«, meinte der Alte listig und augenzwinkernd. »Können sich auf mich verlassen, old Boy. Und wenn Sie nirgends ein Quartier bekommen sollten, so kommen Sie nachher da durch die rückwärtige Hofpforte wieder her. Bei Pit Sanders gibt es für einen Mann wie den großen W…, wie den großen Westläufer Dingsda immer noch eine Kammer!«

Wyatt verließ den Hof des kauzigen Alten durch die erwähnte Pforte, da er nach Möglichkeit vermeiden wollte, in der Stadt erkannt zu werden. Und weil er schon mehrmals in Lubbock gewesen war, außerdem sein Bild gerade in letzter Zeit häufig in den Gazetten erschienen war, mußte er damit rechnen, erkannt zu werden. Hätte ihn erst jemand erkannt, dann wäre es blitzschnell in der Stadt herum, daß er da war. Wenn Lubbock auch erheblich größer war als die Llanostadt Lamesa, aus der der Missourier gerade kam, so war die Stadt doch nicht so reich an Sensationen, als daß die Ankunft einer so populären Persönlichkeit wie die des Marshal Earp, die Leute nicht hätte aufhorchen lassen.

Wyatt verließ an der Ecke der City Hall eine Quergasse und blickte auf die breite Mainstreet hinaus.

Schräg gegenüber lag die große Texas-Bar, aus der Lärm drang, aus deren Fenster schwere Tabakschwaden zogen und breite Lichtfinger über die Vorbauplanken auf den Sand der Straße fielen.

Links an der Ecke gegenüber der Stadthalle war ebenfalls eine Schenke; aber da ging es weniger geräuschvoll zu. Es war eine Spieler-Kneipe, in der still gepokert und getrunken wurde. Wyatt Earp kannte die Schenke genau; vor drei Jahren war dort der berüchtigte Falschspieler Lawrence Garrison von Doc Holliday im Gunfight erschossen worden. Garrison hatte im Rücken des Georgiers gezogen, aber das Pech gehabt, daß Holliday seine Bewegung in einer Spiegelscheibe beobachtet hatte.

Drüben links lag Kirk Dowies schlauchartige Ramon-Bar. Vor ihrem Eingang war im Februar 1879 der Revolvermann Harry Bennet von fünf Kugeln durchbohrt worden; die Brüder Jacques und Jerome Pertisson hatten ihn erschossen, ehe sie kaum dreißig Yard weiter auf der Flucht von einem Mann namens Lumbace gestellt wurden; Lumbace war damals noch Hilfssheriff. Nicht, daß Lumbace etwas für den Revolvermann Bennet übrig gehabt hätte – aber erstens hatten die Pertissons den Schießer in die Zange genommen, was im Westen als unverzeihlicher Verstoß gegen die Regeln der Fairneß galt, und zweitens waren sie selbst mehrfache Mörder, und der energische Sternträger liebte es, Schnelljustiz auf offener Straße zu üben, was ihn sehr bald zu einem gefürchteten Namen im ganzen County verholfen hatte.

Rechts neben der City Hall war Gordon Happys Sundy Saloon, jene berüchtigte Schenke, in der Billy the Kid den Kaufmann James Maddock niedergeschossen hatte.

Etwas weiter unten, von der Ecke aus aber noch zu sehen, stand immer noch das in ganz Texas bekannte Slaton-Hotel, in dem der von fünf Staaten gejagte John Wesley Hardin das Feuergefecht mit dem Staatenreiter Pete Marfield gehabt hatte. Das alte Haus schien auf schlechtem Grund zu stehen, hatte sich vornüber geneigt wie ein Greis im Sorgestuhl und verharrte so seit anderthalb Jahrzehnten.

Well, es war schon ein historischer Boden, auf dem der Marshal Earp da stand. Und er wollte keineswegs in dieser nach Pulverrauch riechenden Ecke noch weitere Geschichte hinzufügen, sondern so rasch wie möglich weiter, wenn er seine Nachforschungen angestellt hatte. Er wußte aus Erfahrung, daß ein bekannter Ort Anziehungskraft ausübt und nicht selten weitere Ereignisse hervorruft.

Links neben der Texas-Bar lag in einem kleinen Steinbau das Sheriffs Office, Greg Lumbaces Behausung. Er hatte oben über dem Bureau noch einen kleinen Schlafraum und eine winzige Kammer, in der zuweilen einer seiner Verwandten aus Dallas schlief.

Der Marshal überquerte die Straße rasch, klopfte an die Tür des Office, öffnete dann und trat ein.

Im gleichen Augenblick, in dem Wyatt die Tür geöffnet hatte, blitzte aus dem Hintergrund des Bureaus ein Schuß auf.

Die Kugel zischte über den gedankenschnell abgeduckten Kopf des Missouriers hinweg und pfiff über die Straße.

Mit einer Blitzreaktion hatte der Marshal den Revolver aus dem rechten Halfter gezogen, während des Ziehens gespannt, und als er die Waffe hochriß und nach vorn stieß, zog er den Stecher durch.

Es war weniger als eine Sekunde seit dem Aufblitzen des Schusses im Hintergrund des Sheriffs Bureaus vergangen, als der schwere fünfundvierziger Frontier Colt des Marshals aufbrüllte und unter einer orangeroten Feuerzunge, die zum Türrahmen hochzuckte, das Geschoß in den Raum schickte.

Ein Mann schrie gellend auf.

Wyatt hatte sich mit dem Schuß zur Seite geworfen und kauerte jetzt draußen neben der Tür am Boden.

Drinnen brach der Schrei jäh ab, irgendein schwerer Gegenstand wurde umgerissen, und dann war ein dumpfer Aufprall zu hören.

Gleich nach den Schüssen war drüben aus der Spieler-Bar ein Mann herausgerannt, spurtete über die Straße, hielt inne, als er den dunklen Körper neben seiner Tür kauern sah, und griff zum Revolver.

Wyatt hatte sich umgewandt. Er sah den Mann auf der Straßenmitte, und sah auch den silbernen Sechszack links auf seinem Hemd blinken.

Sheriff Lumbace!

»Mir scheint, die freundliche Begrüßung galt Ihnen, Mr. Lumbace!«

Der Sheriff war stehengeblieben und lauschte verblüfft dem Klang dieser Stimme nach, konnte aber nicht darauf kommen, woher er sie kannte, und knurrte gewohnheitsmäßig:

»Los, steh auf, Mensch, sonst senge ich dir das Fell!«

»Thanks, für die freundliche Einladung. Wirklich, ich muß sagen, das ist eine unterhaltsame Ecke hier.«

»Wer ist da im Office?« bellte Lumbace.

»Das sollten Sie besser wissen, Sheriff. Schließlich wartete der Mann auf Sie!«

Lumbace hatte wohl bemerkt, daß aus dem Office geschossen worden sein mußte, wollte es aber nicht wahrhaben.

»Los, stehen Sie auf, Mensch, und heben Sie die Flossen hoch! Colt fallen lassen!«

Wyatt dachte gar nicht daran, dieser Aufforderung Folge zu leisten, sondern entgegnete:

»Sehen Sie lieber nach, wer Ihnen da den Garaus machen wollte!«

Der Sheriff, der drei Schritte vorwärts gemacht hatte, blieb nun stehen und lauschte wieder dem Ton dieser Stimme nach, die diesmal schon viel metallischer und schärfer geklungen hatte.

Damned! Das war doch…! Greg Lumbace schluckte.

»Marshal –?« brach es leise und heiser aus seiner Kehle.

»Gehen Sie durchs Hoftor«, schnitt der Missourier Lumbace das Wort ab. »Nicht ausgeschlossen, daß der Mann, den ich vermutlich getroffen habe, noch einen Partner mitgebracht hat.«

Lumbace setzte sich augenblicklich in Bewegung, hielt auf sein Tor zu, stieß es mit dem Revolverlauf auf und blickte in die Hofenge.

Da schien alles in Ordnung zu sein. Als er aber vorwärtsging, sah er einen Schatten auf die Hoftür zuhuschen, die zum Office führte.

»Stehenbleiben!« brüllte er.

Aber der andere rannte weiter.

Lumbace schoß.

Der Schuß peitschte über den Hof.

Doch der Mann hatte die Tür schon erreicht und rannte durchs Office.

Da stolperte er über einen Gegenstand, fing sich aber und hastete weiter. Als er durch die Tür wollte, schnellte Wyatt hoch und hielt ihn auf.

Der Mann feuerte seinen Revolver ab. Die Kugel schlug klatschend ins Vorbaudach, da der Marshal im letzten Moment den Arm des Schützen hochgestoßen hatte.

Der andere federte zur Seite. Da ihm der Colt entfallen war, wollte er sein Messer ziehen.

In diesem Augenblick traf ihn ein krachender Rechtshänder des Marshals an der Kinnecke und riß ihn von den Beinen.

Lumbace war dem Mann gefolgt, sah von der Hoftür aus das Aufblitzen des Schusses, sah die riesige Gestalt des Marshals wie ein Phantom hochzucken. Doch den Schlag sah er nicht, der den anderen traf. Der Sheriff erreichte die Tür, als der Getroffene wie ein gefällter Baum niederstürzte und langausgestreckt auf den Vorbauplanken liegenblieb.

Lumbace blickte den Marshal an.

Wyatt Earp überragte ihn fast um Haupteslänge.

»Machen Sie Licht«, forderte der Marshal ihn auf.

Der Sheriff riß ein Zündholz an.

Der schwache Lichtschein geisterte durch den Officeraum und erfaßte neben einem umgestürzten Hocker die Gestalt eines Mannes, der mit dem Gesicht auf den staubigen Dielen lag.

Das Zündholz in der Hand des Sheriffs erlosch. Er riß ein neues an und brachte es zum Tisch an den Docht der Kerosinlampe.

Als das hellere Licht jetzt auf den Mann am Boden fiel, meinte Lumbace mit belegter Stimme:

»Pecos-Bill ist es nicht.«

Wyatt, der nur wenig von dem Gesicht des Mannes am Boden sehen konnte, entgegnete:

»Nein, und in den nächsten zehn Tagen kann er es auch nicht sein. Dafür ist es Frank Shipwell.«

Dunkel Röte flog über das Gesicht Lumbaces.

»Shipwell?« Er wollte sich gerade niederbeugen, um den Getroffenen näher zu betrachten, nahm aber jetzt den Kopf herum und starrte den Marshal verstört an. »Wie kommen Sie denn darauf?«

Wyatt blickte den Sheriff forschend an.

»Kennen Sie ihn etwa nicht?«

»Doch – aber…« Lumbace beugte sich nieder und wälzte den Mann auf den Rücken. »Tatsächlich!«

Wyatt, der den anderen draußen vom Vorbau geholt und in eine Zelle gesperrt hatte, schloß die Tür und blickte in das Gesicht Shipwells.

»Er lebt noch. Holen Sie einen Arzt.«

Lumbace warf den Kopf herum und stierte den Missourier aus steingrauen harten Augen wütend an. Er hatte jetzt seine alte Sturheit und Selbstsicherheit wiedergefunden.

»Einen Arzt? Weshalb? Dieser Bursche hat mich niederknallen wollen. Dafür wäre er sowieso an den Galgen gekommen. Er soll hier auf den Brettern verr…«

»Holen Sie den Doc!«

Lumbace richtete sich auf. Noch immer hielt er die Kerosinlampe in der Hand. Das Licht kam von unten und warf geisterhafte Schatten auf sein Gesicht. In seinen Augen stand ein gefährliches Glimmen.

»Was wollen Sie, Marshal! Dieser Mann ist mein Feind. Er bekämpft mich seit Jahren. Er ist ein Bandit, der…«

»All das können Sie mir später erzählen. Holen Sie jetzt einen Arzt, Sheriff!«

Lumbace stellte die Lampe auf die Tischkante, stieß seine starkbehaarten kantigen Fäuste in die Hosentaschen, spreizte die Beine und warf den Kopf hoch.