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Österreichische Musikzeitschrift - Herausgegeben von der Europäischen Musikforschungsvereinigung Wien Jahrgang 70/2015 Heft 1 - 1815 - Musik zum Siegen und Tanzen - HOLLITZER Verlag

Österreichische Musikzeitschrift (ÖMZ) | Jahrgang 70/01 | 2015

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung von

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Johann Georg Mansfeld: Die alliierten Monarchen (1816) Bild: Albertina, Wien

Liebe Leserinnen und Leser,

mit Beginn des 70. Jahrgangs hat sich nicht nur das Outfit der ÖMZ wieder einmal – und hoffentlich zum Vorteil – verändert. Unser neuer Partner ist der Hollitzer Verlag in Wien. Er wird die Abonnements- und Buchhandelsbelieferung kontinuierlich fortsetzen (die Daten für Neubestellungen und Rückfragen finden Sie im Impressum S. 2) und dafür sorgen, dass unsere Texte auch als e-book zu lesen sind.

»Der Weltkreis ruht, von Ungeheuern trächtig«, schrieb Goethe nach dem Sturz Napoléons, als sich der Wiener Kongress anschickte, Europa neu zu ordnen. Während am großen Horizont Ruhe einkehrte, wurde in der für die Friedens- und Kooperationsverhandlungen auserwählten Stadt die Musik in besonderer Weise laut – zumal dort, wo »sie am sinnlichsten mit dem Leben vermählt ist, im Tanze« (Robert Schumann). Der Kongress, aufwändig in bis dahin nicht gekannter Weise, war ein »europäisches Ereignis, das nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren psychischen Zustand Europas widerspiegelte«. Der 200. Jahrestag gab die Anregung für den Themenschwerpunkt. Denn, so resümiert der in Wien lehrende Historiker Wolfgang Schmale, »bis heute faszinieren die großen Feste, an denen Tausende aktiv oder als Zuschauer teilnahmen. 100.000 Menschen kamen aus Anlass des Kongresses nach Wien.« Um diese Feste geht es im Essay von Otto Brusatti und Isabella Sommer, der entschieden auf das abhebt, was sich »unten« bewegte – im öffentlichen gesellschaftlichen Raum und in Bezug auf die Sinnlichkeit. Elisabeth Hilscher erläutert Zusammenhänge und Spannungsverhältnis von oben und unten im Zuge dessen, was der »allgemeinen Freude« auf den musikalischen Feldern Ausdruck verlieh – von den Volksfesten und den Salons bis zur Musik bei Hofe und in Beethovens Komponierstube. Wien 1815 – das darf als eine auch musikhistorische Markierung verstanden werden, als facettenreicher Auftakt zu einem musikalischen Jahrhundert, das so ziemlich weltweit die Leistungsfähigkeit und den Gedankenreichtum, die tiefe Fundierung und das hohe technische Niveau, die Intensität und Innigkeit, die nicht ganz unproblematische Majestät und die neben der Gewichtigkeit immer wieder aufblühende Eleganz der österreichisch-deutschen Musik goutierte und anerkannte. Stefan Schmidl kontrapunktiert, indem er eine Linie von 1815 zu 1918 und 1945 zieht. Es schließen sich zwei Studien zur aktuellen Aufarbeitung dessen an, was unmittelbar zuvor unter hybriden (und heute als verwerflich angesehenen) Aspekten auch das Denken und Wirken von Musikforschern bestimmte: Christian Zoidl beleuchtet die Biographie Alfred Orels, Boris von Haken die NS-geprägte Studentenkarriere von Hans Heinrich Eggebrecht, in der Siegeswillen eine zentrale Rolle spielt. Schließlich wird an den 1815 geborenen preußischen Militärkapellmeister J. G. Piefke erinnert, für dessen Leben und Wirken Analoges gilt. › Das Team der ÖMZ

Inhalt

1815 Musik zum Siegen und Tanzen

Wolfgang Schmale: Kontext 1815

Elisabeth Hilscher: »… unsrem guten Kaiser Franz …« Feste und Feiern rund um den Wiener Kongress als patriotische Bühne

Otto Brusatti & Isabella Sommer: 1810–1815: »Das Vergnügen erringt den Frieden«? Teil 1: Ein musikgeschichtlicher Wendepunkt

Frieder Reininghaus: Pulver und Pathos Schuberts politisch-musikalische Erregung des Jahres 1815 im Spiegel neuerer Forschung

Stefan Schmidl: 1815–1918–1945 Medienrealitäten von Siegeskompositionen

Frieder Reininghaus: Piefke zum Zweihundertsten Statt eines Lexikoneintrags

Lehren und Lernen

Gesine Schröder: Peking in APEC-blue Musikalische Analyse am Zentralkonservatorium

Neue Musik im Diskurs

Nina Polaschegg: Impuls. Internationale Ensemble- und Komponistenakademie für zeitgenössische Musik 2015

Extra

Boris von Haken: Nationalsozialistische Studentenkarrieren

Clemens Zoidl: Vergeblich angebiedert. Alfred Orel, die Musikwissenschaft und der Nationalsozialismus

Berichte Symposien

Ivan Zajc. Musical Migrations and Cultural Transfers in the »Long« 19th Century in Central Europe and Beyond (Andrea Harrandt)

Kriegsmedien – Medien im Krieg. Ästhetisierung in Bild und Ton im Ersten Weltkrieg (Ramona Hocker)

Furrer im Kontext. Internationales Symposion zum 60. Geburtstag des Komponisten (Stefanie Bräuml)

Südosteuropastudien: Musik und Theater (Philip Röggla)

Quo vadis, Wien Modern? (Juri Giannini & Fritz Trümpi)

Festival Musiktheater Konzert

MUSIKTHEATER IN ÖSTERREICH

Hitchcock’scher Händel (Johannes Prominczel)

Filigrane Zauberwelt (Johannes Prominczel)

Solo für den Schoenberg Chor (Lena Dražić)

OPER IN EUROPA

Durchwegs alte Musik – Sechs Premieren, exemplarisch (Frieder Reininghaus)

KONZERTE IN ÖSTERREICH

Kriegsmusik und Weihnachtsfrieden (Philip Röggla)

Ein Geburtstagsfest ohne Jubilar (Heinz Rögl)

Von den Rändern ins Zentrum (Lena Dražić)

Rezensionen

Bücher

CDs

NEWS

Finanzielles, Personalien, Ehrungen

Zu guter Letzt

Bekenntnisse zur Tradition und zum Erlustigungsort (Magdalena Pichler & Frieder Reininghaus)

Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe, Themen 2015

THEMA

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Kontext 1815

Wolfgang Schmale

Das Jahr 1815 bedeutete eine gewaltige Zäsur in der Geschichte Europas. Mit dem Wiener Kongress begann die rund ein Jahrhundert anhaltende Pilotfunktion der deutsch-österreichischen Musik – mit weitreichenden Folgen auch für das einheimische Musikleben. Diese Konsequenzen erschließen sich sinnvoll nur aus dem politischen und gesellschaftlichen Zusammenhang.

»Die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können« – so schrieb Immanuel Kant 1795 am Anfang seiner Abhandlung Zum ewigen Frieden. Wie recht er hatte! Die Kriege, die in der Epoche der Französischen Revolution und unter Napoléon zwischen 1792 und 1814 bzw. 1815 (die »Hundert Tage Napoléons«) geführt wurden, lassen sich kaum zählen. Zum Ende dieses »zweiten Dreißigjährigen Krieges« hin spitzte sich die Lage zu: Napoléons Russlandfeldzug 1812 endete im brennenden Moskau und im tödlichen Desaster, brachte aber kein Ende. 1813 folgte die sogenannte Völkerschlacht bei Leipzig, Napoléons Niederlagen 1814. Der Erste Pariser Frieden vom 30. Mai dieses Jahres sollte die Kriegsjahrzehnte beschließen. Vereinbart wurde, in Wien einen Kongress abzuhalten, um festzulegen, wie der Friedensschluss auszuführen sei.

Doch geschah auf diesem Kongress sehr viel mehr. Nicht zu Unrecht steht beim Blick auf die europäische Friedensordnung die Schlussakte des Wiener Kongresses (9. Juni 1815) im Mittelpunkt und nicht so sehr der Pariser Frieden. Auf den sollte am 22. November 1815 ein Zweiter Pariser Frieden folgen, der das Kapitel Napoléon endgültig abschloss. Als dieser Ende Februar 1815 rund 600 Mann an Truppen sammelte und seinen Verbannungsort Elba verließ, als er widerstandslos bis Paris durchstechen konnte, waren sich die europäischen Mächte einig, dass die »Ruhe Europas« und der »allgemeine Friede« nicht mehr auf diese Weise gestört werden sollten. Man koalierte und besiegte Napoléon, man verhandelte nicht, man brachte den Mann weit weg auf die Insel St. Helena.

Aus dieser »Episode« ist sehr gut zu erkennen, dass sogar jene Staatsoberhäupter, die Kant so kritisch angesprochen hatte, den Krieg satt hatten. Der Wiener Kongress ist jenes europäische Ereignis, das nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren, psychischen Zustand Europas widerspiegelte. Es gab einen echten Friedenswillen und die Sehnsucht nach Ruhe, deren Erfüllung mit dem treffenden Wort »Biedermeier« bezeichnet wird.

Bis heute faszinieren die großen Feste, an denen Tausende aktiv oder als Zuschauer teilnahmen. 100.000 Menschen kamen aus Anlass des Kongresses nach Wien, das damals ca. 265.000 Einwohner zählte. Kein zweites Mal vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen so viele Staatsoberhäupter zusammen. Im Grunde bieten sich nur die Gipfeltreffen der heutigen Europäischen Union mit 28 persönlich anwesenden Staats- und Regierungschefs und deren großen Personalstäben als Vergleich an.

Es war und ist bemerkenswert, dass sich 1814 so viele Staaten und Territorialherren zusammensetzten und berieten. Natürlich war der ganze Kongress hierarchisch organisiert: Nichts passierte ohne die Zustimmung der Großen Fünf (Österreich, Russland, Preußen, Großbritannien und Frankreich), aber man übte sich darin, bei allem politischen Gepokere, Interessen offenzulegen und zu verhandeln. Es wurde nicht Krieg geführt, sondern miteinander gesprochen. Diese ebenso einfache wie sinnvolle Grundeinstellung wurde nach vielen Kriegen im 19. Jahrhundert und zwei Weltkriegen im Zuge des europäischen Integrationsprozesses erst wieder mühsam erlernt.

Wer miteinander sprechen kann, kann auch miteinander feiern. Das wurde, wie sattsam bekannt, auf dem Wiener Kongress ausgiebig getan. Das überstrapazierte Bonmot des Prince de Ligne, der Kongress tanze, statt Fortschritte zu machen, mag man eigentlich nicht mehr zitieren, aber es lässt sich auch einmal unter dem Aspekt betrachten, dass der achtzigjährige Marschall die Bedeutung des Miteinander-Tanzens nicht verstanden hatte. Wer miteinander sprechen kann, kann auch miteinander feiern und tanzen. Die Feste, Bälle, Ausfahrten, Ausritte, Aufführungen besaßen und besitzen eine ästhetische Komponente. Ästhetik war ein Schlüsselbegriff der Aufklärung geworden, mit dem die harmonische Anmutung von Artefakten, Dichtung, Malerei, Inszenierungen, ja sogar Systemen bezeichnet wurde. Der Wiener Kongress stellte ein ästhetisches Großereignis dar – die Ästhetik unterstrich die Sinnhaftigkeit des Kongresses. Diese Sinndeutung verschloss sich dem Prince de Ligne, und so sollte man aufhören, ihn fortdauernd zu zitieren.

In der großen Politik erfüllte der Wiener Kongress seine Aufgabe und schuf eine Ordnung für Europa, über die für ein Jahrhundert kein großer, gesamteuropäischer Krieg mehr geführt wurde, sondern ›nur‹ noch regionale. Dieser sehr relative Friede war 1914 zu Ende. Auf dem Kongress wurde aber die Welt nicht neu geordnet, obwohl es mit der gemeinsamen Erklärung zur Abschaffung der Sklaverei eine dezidiert globale Perspektive gab. Die Nichtordnung bestand darin, dass das von Großbritannien im wohlverstandenen Eigeninteresse behauptete Prinzip des freien Handels auf den Meeren durchgesetzt wurde. Die süd- und mittelamerikanischen Staaten wurden nicht an ihrer Unabhängigkeit gehindert, man wünschte sich dort auch die monarchische Staatsform, aber es wurde in der Regel nicht eingegriffen. In Europa bedeutete der Kongress eine Stärkung der Monarchie, aber entgegen einer verbreiteten Interpretation bedeutete das damit verknüpfte Legitimitätsprinzip nicht die schlichte Restauration einer traditionellen Monarchie. Vielmehr entwickelten sich unter diesem Deckmantel ganz verschiedene Spielarten der Monarchie mit konstitutionellen und zunehmend auch populistischen Anteilen. Keine Monarchie war wie die andere!

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Napoléon Bonaparte, der durch seine Eroberungspolitik den Wiener Kongress notwendig machte, beim Überschreiten der Alpen am Großen Sankt Bernhard. Gemälde von Jacques-Louis David, 1800.

Die Französische Revolution hatte zunächst auf dem politischen Begriff der Nation gefußt, wandelte diesen aber vor allem in der radikalen Phase ab 1792 in einen nationalistischen um. Der Kriegsdruck machte ihn zunehmend zu einem Identitätsbegriff. Dieses Beispiel machte in Europa Schule. In den Kriegen der Revolution und Napoléons standen sich in der Folge Völker gegenüber. Hieraus entstand nationaler Patriotismus, der erst später im 19. Jahrhundert in Nationalismus umschlug. Zur Zeit des Wiener Kongresses zählte Patriotismus noch zu den Spielarten von Brüderlichkeit.

Der Kongress katapultierte Wien in die Rolle der Kulturhauptstadt Europas. Im Burgtheater, im Kärntnertortheater, im Theater an der Wien sowie in den Theatern in der Leopoldstadt und der Josefstadt fanden zwischen dem 1. Oktober 1814 und dem 9. Juni 1815 gut und gerne 900 Aufführungen (Schauspiel, Musiktheater, Ballett etc.) statt. Dazu kommen noch Aufführungen in anderen Theatern. Die bildenden Künste erlebten eine inspirierende Zeit (in der Wien allerdings keine Stadt der kulturellen Bohème wurde). Dieser Schub erwies sich als nachhaltig, denn in allen Feldern, in denen Wien damals kulturell aufblühen konnte, behauptet es sich – cum grano salis! – bis heute.

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Der Wiener Kongress als Blütezeit der Karikatur: Dieses Bild von Clemens Wenzel Graf von Metternich fertigte Heinrich Reschauer allerdings erst 1876 an.

Kultur- und politische Hauptstadt stützten sich in ihren Wirkungen gegenseitig.

Freilich wäre das nicht so ohne neuerliche kulturelle Schübe, zunächst des Ringstraßenbaus, dann der Wiener Moderne um 1900, aber selten hat eine europäische Stadt kulturgeschichtlich in ähnlichem Ausmaß von einem politischen Ereignis profitiert. Gewiss ist einzuräumen, dass die diplomatische Meisterschaft Metternichs hierbei ihre Rolle spielte, denn er machte Wien für geraume Zeit zum politischen Zentrum Kontinentaleuropas. Großbritannien bildete längst ein Reich für sich, das dem Kontinent nur mehr lose verbunden war.

Übrigens war diese Zeit auch eine Hoch-Zeit der Karikatur. Der Bürger war intellektuell emanzipiert, so viel Auswirkung hat die Französische Revolution dann doch allenthalben auf dem Kontinent gehabt. Ohne diesen emanzipierten Bürger hätte sich der gesamte theatralische Aufwand auch nicht gelohnt. Ob er es wollte oder nicht – der Wiener Kongress förderte die bürgerliche Gesellschaft als soziale »Standardformation«. Man kann dies als eine weitere List der Geschichte interpretieren: Der Bürger, die bürgerliche Gesellschaft gewann in jener Epoche immer – auf dem einen oder dem anderen Weg.

THEMA

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»… unsrem guten Kaiser Franz …«
Feste und Feiern rund um den Wiener Kongress als patriotische Bühne

Elisabeth Hilscher

Groß war die Freude, als nach Jahren des Krieges und der Niederlagen die Nachricht vom Sieg bei Leipzig Mitte Oktober 1813 in Wien eintraf. Diesmal schien der Sieg der Alliierten endgültig zu sein: Am 23. April 1814 wurde in Paris ein Waffenstillstand beschlossen, am 30. Mai 1814 der 1. Pariser Frieden unterzeichnet. Die Jubelstimmung kam alsbald auch in der Musik zu Ausdruck.

Fast fünfzehn Jahre lang hatte Napoléon die Landkarte Europas gleichsam »umgegraben« und Europa mit Kriegen überzogen. Gleich zweimal hatte Wien, seit der Zeit von Matthias Corvinus unbezwungen und stolz, die osmanischen Heere zweimal zurückgewiesen zu haben, die Schmach der Eroberung durch die Truppen Napoléons erleiden müssen. Die erste war am 13. November 1805 kampflos erfolgt, doch die zweite erst nach intensivem Beschuss durch die französische Artillerie im Mai 1809 – das Leben des alten Joseph Haydn, der am 31. Mai 1809 in seinem Haus in Gumpendorf starb, war also nicht »mit Trompeten und Pauken«, sondern »mit Bomben und Granaten« in tempore belli zu Ende gegangen.

Unter diesen Aspekten wird die Euphorie, mit der die Nachricht über den – wie alle hofften – nun endgültigen Sieg über Napoléon und die Aussicht auf eine Wiederherstellung der alten Ordnung aufgenommen wurde, verständlich. Und Kaiser Franz, obwohl er als Feldherr nicht in Erscheinung getreten war, wurde enthusiastisch als »unser Vater Franz« und »unser guter Kaiser Franz« zur Identifikationsfigur für die Bevölkerung des neuen, 1804 aus der Not wie den »Überresten« des Heiligen Römischen Reiches geborenen Kaisertums Österreich.

Prolog

Am 16. Juni 1814 zog Kaiser Franz von der Favoritenstraße kommend über das Kärntnertor feierlich in Wien ein. Die Triumphpforte, die die Stadt vor dem Kärntnertor errichten ließ, bildet einen Bogen zwischen antiken Vorbildern und barocker Inszenierung:

»Der Zug geht unter fortdauerndem Kanonendonner, und dem Geläute sämmtlicher Glocken der Stadt und in den Vorstädten, aus dem Theresianischen Akademie-Gebäude über die Wiedner-Hauptstrasse an das alte Kärntnerthor, an welchem Sr. Majestät der Kaiser und König, von dem Hrn. Bürgermeister und von dem gesammten Magistrate, in der zu diesem Empfange errichteten Triumphpforte, erfurchtsvoll bewillkommt werden.« Der Zug führt durch die halbe heutige Innenstadt und endet vorläufig in St. Stephan, »wo das Tedeum abgesungen wird«.

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Am 19. Oktober 1813 wurde Napoléon in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Illustration aus »Sachsens neun denkwürdige Jahre von 1806 bis 1815 während Näpoleons Feldzügen in Deutschland und Russland« von Franz Lubojatzky (1853).

Danach wird der Zug nochmals durch die andere Hälfte der Stadt bis zur Hofburg geführt, wo ein feierlicher Empfang stattfindet. Eine festliche Illumination der Stadt und der Vorstädte beendet diesen großen Tag1, der als Auftakt der großen öffentlichen Inszenierungen des Wiener Kongresses gesehen werden kann.

Einen akustischen Eindruck von diesem Fest bieten zwei Kompositionen für Pianoforte:

WIENS EMPFINDUNGEN/bey der Rückkehr Seiner Majestät/Franz des Ersten/Kaiser von Oesterreich u.u./im Jahre 1814.//EINE CHARAKTERISTISCHE SONATE/für das Piano Forte/von/ IGNAZ MOSCHELES/27tes Werk/Wien bey Artaria & Comp.2

und

Das/neubeglückte Oesterreich oder Triumph des Wiedersehens/bey/Franz I./Rückkehr zu seinen Landeskindern./Ein grosses Tongemälde für das Piano-Forte/dem/Hochwohlgebornen Herrn/Stephan Edler von Wohlleben/Ritter des Königl. ungar. St. Stephan-Ordens,/k.k. nied. oest. wirklicher Regierungsrath, Beysitzer der Hofcomission in Wohl-/thätigkeits-Angelegenheiten, und Bürgermeister der Haupt- u. Residenzstadt Wien &.&./in tiefster Ergebenheit gewidmet/von/Tobias Haslinger./18tes Werk./Wien, auf Kosten des Herausgebers.3

Diese »charakteristischen Tongemälde/Sonaten für das Piano-Forte«, von denen im Laufe des Kongresses noch mehrere von hier ansässigen Komponisten produziert wurden, können als »Klangtapeten« bzw. Vorform einer »Tonkonserve« gesehen werden, in denen der Komponist versuchte, einen akustischen Eindruck des jeweiligen Festes wiederzugeben. Dementsprechend bestehen diese Stücke aus Aneinanderreihungen von unmittelbar aufeinander folgenden (kurzen) Genrestücken, deren musikalische Imaginationskraft durch Überschriften über den einzelnen Abschnitten zusätzlich gelenkt wurde wie beispielsweise im Stück Haslingers: »Das Frohlocken der Bewohner Wiens bey der Nachricht von FRANZ des Allgeliebten Rückkehr«, »Eilen und Drängen der Menge, den Vater des Vaterlandes4 zu sehen«, »Ankunft des Monarchen«, »Feyerlicher Empfang desselben«, »Glockengeläut und Kanonendonner«, »Vivatrufe des wonnetrunkenen Volkes«, »FRANZ[,] der gute Vater seines Volkes[,] begrüsst die jubelnde Menge«, »Ein zweytes Hoch lebe FRANZ«, »Eintritt des Monarchen in die Kaiserburg«, »Jubelempfang im Kreise seiner hochherzigen Gattin, der Kaiserin Maria Ludovika und seiner erhabenen Familie«, »Dank an die Allmacht für FRANZENS Wiederkehr«. Mit einer kurzen, nur wenige Takte umfassenden Paraphrase auf die »Volkshymne« endet das Stück.

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Der Einzug des Kaisers in Wien diente als Auftakt der öffentlichen Inszenierungen um den Wiener Kongress. Peter Krafft: Einzug Kaiser Franz II (I.) in Wien 1814. Bild: Schloß Schönbrunn Kultur- und Betriebsgesellschaft. Sammlung: Bundesmobilienverwaltung. Objektstandort: Hofburg Wien, Kaiserappartements. Foto: Fritz Simak

Ob man dieses Erinnern nun in der Kammer für sich selbst erleben wollte oder mit rezitierten Überschriften und in Verbindung mit den allerorts verkaufen Stichen »multimedial« im Salon inszenierte, blieb jedem selbst überlassen. Eines sticht jedenfalls ins Auge: Diese Kompositionen, wie auch die zahlreichen Klavierbearbeitungen der anderen »Kongress-Musiken« (z.B. zur Hofschlittenfahrt, zum großen Carroussel, die bei den Hofbällen gespielten Tänze) sind – den spieltechnischen Ansprüchen nach – offensichtlich für ein Laienpublikum gesetzt worden, das heißt, diese Literatur wurde ganz gezielt für den Bedarf eines bürgerlichen Musikmarktes produziert.

Der Kongress beginnt

Den ganzen Sommer 1814 hatten Hof und Stadt sich auf das Großereignis des Kongresses vorbereitet und die immer noch von den Schäden der Belagerung von 1809 gezeichnete Stadt auf Hochglanz gebracht, die Theater mit luxuriös dekorierten Hoflogen ausgestattet. In der Hofburg, in der Souveräne und ihre Suiten untergebracht werden mussten, wurde es nun noch enger als ohnehin bereits; Hofbedienstete wurden kurzerhand ausquartiert, und selbst die Kaiserin musste der Gäste wegen Räume abgeben, die über den Sommer hastig neu tapeziert und mit Möbeln aus diversen habsburgischen Schlössern eingerichtet wurden.

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Gemeinsam mit Ferdinand Graf Palffy entwarf er das Festprogramm zur Eröffnung des Kongresses: Antonio Salieri auf einem Gemälde von Joseph Willibrod Mähler (vor 1825).

Ferdinand Graf Palffy (1774–1840), der Intendant der Hoftheater, und Hofkapellmeister Antonio Salieri (1750–1825) wurden beauftragt, ein entsprechendes Festprogramm zu entwerfen, das die Dynastie und das Kaisertum (wobei offen blieb welches – das österreichische oder das heilige römische) ins rechte Licht rücken sollte. Als Devise für die geplanten »Hoffeyerlichkeiten« gab Kaiser Franz im September 1814 aus: »Als Grundsatz finde ich aufzustellen, daß alle Hoffeste sowie auch die Beköstigung und Bedienung der fremden Herrschaften und Ihres Gefolges der Würde, und dem Ansehen Meines Hofes zu entsprechen habe, und daß überall Geschmack, Eleganz und Überfluß mit pünktlicher Ordnung, genauer Kontrolle und sorgfältiger Vermeidung aller Verschwendung und Vergeudung vereinigt seyn müsse.«5 Bereits im Sommer hatte man eine Sonderdotation für »Hoffeyerlichkeitsgelder« eingerichtet (erstmals Ende Juli 1814 in den Akten erwähnt), mittels derer man versuchte, die erwarteten hohen Ausgaben wenigstens halbwegs unter Kontrolle halten zu können.

Mitte Juli war das offizielle Festprogramm6 im Wesentlichen fixiert: Den Anfang machte ein großes Feuerwerk im Prater am 29. September, das der Pyrotechniker Johann Georg Stuwer auf Wunsch des Hofes eigens auf diesen Termin verschoben hatte, dem am nächsten Tag ein Cercle im Zeremoniensaal der Hofburg folgte. Die hohen Gäste, ihre Berater und Kanzlisten waren zu diesem Zeitpunkt schon alle in Wien.

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Delegierte des Wiener Kongresses auf einem zeitgenössischen Kupferstich von Jean Godefroy nach dem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey.

Johann von ParisSamsonAschenbrödel