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AMSTERDAM

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DIE AUTORIN

Hannah Glaser ist Absolventin der Deutschen Journalistenschule in München und schreibt als freie Autorin über Reise- und Kulturthemen. Amsterdam kennt sie noch aus den Zeiten, als hier die kraakbeweging erfunden wurde, Studenten leer stehende Häuser besetzten und die Stadt zur Heimat der Hippies und zum Mekka alternativer Lebensformen wurde. Schon damals war die Luft in Amsterdam freier, toleranter und kreativer als in Deutschland, und das ist bis heute so geblieben.

Inhalt



Willkommen in Amsterdam

Top 10 & Mein Amsterdam

image Top 10: Das müssen Sie gesehen haben

image Mein Amsterdam: Lieblingsplätze der Autorin

Stadttour

Ein Rundgang durch Amsterdam

Streifzüge

Amsterdam zu Wasser

Neun Straßen zum Verlieben

Von Java bis Borneo

Haarlemmerpoort und Westergasfabriek

Der angesagte Norden: A‘DAM, EYE und die NDSM-Werft

Vista Points − Sehenswertes

Museen

Architektur und andere Sehenswürdigkeiten

Erleben & Genießen

Übernachten

Essen und Trinken

Nightlife

Kultur und Unterhaltung

Shopping

Mit Kindern in der Stadt

Erholung und Sport

Chronik

Daten zur Stadtgeschichte

Service von A bis Z und Sprachführer

Service von A bis Z

Sprachführer


Register

Bildnachweis und Impressum

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   Zeichenerklärung

image Top 10
Das müssen Sie gesehen haben
image Mein Amsterdam
Lieblingsplätze der Autorin
image Vista Point
Museen, Galerien, Architektur und andere Sehenswürdigkeiten
image Kartensymbol: Verweist auf den Link zu den offline Karten im Buch sowie zu Google Maps.


Willkommen in Amsterdam

In Amsterdam ist in den letzten zehn Jahren ein neues Zeitalter angebrochen. Längst spielt die Musik nicht mehr nur in den historischen Gassen, wo sich die schmucken Fassaden der noblen Bürgerhäuser im Wasser der Grachten spiegeln, sondern auch im alten Osthafen, der mit seinen verfallenen Lagerhäusern lange als No-Go-Area galt. Muziekgebouw aan’t IJ heißt das Herz des neuen Amsterdam, ein gläsernes Haus für Musik, das auf dem Wasser schwimmt. Ein weiterer aufregender Neubau ist das Filmmuseum EYE, das wie ein schneeweißes Origami-Kunstwerk jenseits des IJ liegt und von innen eine herrliche Aussicht auf Fluss und Altstadt freigibt. Den Blick von oben bietet der benachbarte, neu eröffnete A‘DAM Tower. Mit dem Konzerthaus, dem Filmmuseum und dem umgestalteten Hauptbahnhof, der einen neuen Hauptausgang zum Wasser bekam, entstand eine neue Mitte, ein Scharnier zwischen dem neuen und dem alten Amsterdam, das seine Blütezeit im 17. Jahrhundert erlebte.

Damals im sogenannten Goldenen Zeitalter brachten die Schiffe der Ostindischen Kompanie Waren aus aller Welt in die Stadt an der Amstel. Kaufleute und Seefahrer bereisten auf 1500 Frachtenseglern die Weltmeere, feilschten auf der anderen Seite des Globus um Porzellan, Gewürze und Stoffe und kamen mit Schätzen beladen nach Hause. Um 1620, als die reichen Kaufleute und Kapitäne den heutigen Grachtengürtel mit seinen prachtvollen Bürgerhäusern bauen ließen, war Amsterdam die erste Wirtschaftsmetropole der Welt. Heute staunen jedes Jahr vier Millionen Besucher darüber, was aus diesem Reichtum entstand.

Dieses alte Amsterdam feiert sich auch im wiedereröffneten Rijksmuseum, das in 80 renovierten Sälen 800 Jahre Kunstgeschichte präsentiert. Wenn man nach dem Besuch vor die Türe tritt, entdeckt man die Grachten und Backsteinhäuser, die stillen Höfe und kopfsteingepflasterten Gassen, die man eben noch auf den Gemälden bewundert hat, auch in der Realität. Doch die Stadt bleibt nicht in der Innenschau gefangen, sondern hat mit dem neuen Geviert am Hafen den Quantensprung in die Zukunft geschafft. Neben dieser Mainstream-Kultur entstehen auch ständig neue Projekte der Subkultur, die eine Energie freisetzen, wie man sie sonst nur in New York findet.

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Amsterdam von oben: Kein Giebel gleicht dem anderen

Top 10 & Mein Amsterdam

Top 10: Das müssen Sie gesehen haben

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Rembrandthuis

S. 13 f., 31 f. images aE4/Google Map

Amsterdam ohne Rembrandthuis, das ist wie Frankfurt ohne Goethe-Haus. Der Meister wohnte hier fast 20 Jahre und in seinem nachgebauten Atelier kann man lernen, wie man damals die Farben mischte.

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Begijnhof

S. 16 f., 34 images aE1/Google Map

So leise wie in diesem lauschigen, liebevoll gepflegten Innenhof ist es im restlichen Amsterdam sonst nur am Sonntagmorgen, im Sommer duftet es mitten in der Stadt herrlich nach gemähtem Gras.

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Dam

S. 17 f., 36 images aC2/Google Map

Hier geht es immer turbulent zu: Auf dem großen Platz nahe dem Hauptbahnhof sind Heerscharen von Touristen unterwegs – zum Königspalast, zu Madame Tussauds und zum berühmtesten Kaufhaus der Stadt.

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Herengracht

S. 20 f. images D7–G8/Google Map

Die Herengracht mit ihren prachtvollen Fassaden ist – speziell zwischen Huidenstraat und Leidsestraat – wohl die schönste im Grachtenring, der die mittelalterliche Altstadt umschließt und 2010 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt wurde. Für einen ersten Bummel stehen 165 Grachten und 600 Brücken zur Wahl.

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Jordaanviertel

S. 21 ff. images D–G6/7/Google Map

Das frühere Arbeiterviertel, das zur selben Zeit wie der noble Grachtenring entstand, hat sich längst zum Szeneviertel entwickelt, mit Galerien, Kneipen und dörflicher Gemütlichkeit.

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Osthafen

S. 23 ff., 39 f. images D–F11–14/Google Map

Auf den alten, künstlichen Inseln entstanden neue Trendviertel mit origineller Wohnarchitektur. Von der knallroten, geschwungenen Pythonbrücke kann man in der Ferne die großen Tanker vorbeiziehen sehen.

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EYE Film-Institut und A‘DAM Toren

S. 27, 28 f., 34, 59 images C9/Google Map

Das futuristische EYE Film-Institut und der neue A‘DAM Tower setzen einen neuen Schwerpunkt jenseits des IJ und sind beide vom Bahnhof aus mit Gratis-Fähren zu erreichen.

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Rijksmuseum

S. 32 images H/J6/7/Google Map

Der größte Kunsttempel der Niederlande zeigt in 80 Sälen rund 8000 Kunstwerke, darunter »Die Nachtwache« von Rembrandt. Das »Rijks«, wie die Amsterdamer liebevoll sagen, gilt als eines der führenden Museen der Welt.

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Van Gogh Museum

S. 33 images J6/Google Map

Nirgendwo auf der Welt sind mehr Van-Gogh-Gemälde zu sehen, darunter Ikonen der Malerei wie die »Sonnenblumen«, die »Kartoffelesser« und das »Kornfeld mit Krähen«.

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Leidseplein

S. 37 f. images H6/Google Map

Rund ums Jahr zeigt das städtische Leben hier seine schönsten Seiten, im Sommer mit Feuerschluckern und Jongleuren in den Straßencafés, im Winter mit einer Eislaufbahn.

Mein Amsterdam
Lieblingsplätze der Autorin

Liebe Leser,

dies sind keine Orte, die in jeder Sightseeing-Liste auftauchen, sondern kleine Plätze, die mir wegen ihrer Atmosphäre ans Herz gewachsen sind. Veel plezier in Amsterdam!

Hannah Glaser

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Tuschinski

S. 15 f., 59 images aF2/3/Google Map

Plüschiges Amsterdam: Als das Tuschinski noch ein Varieté war, traten hier Weltstars auf wie Maurice Chevalier, Judy Garland, Marlene Dietrich und Édith Piaf, heute ist es das schönste Kino der Niederlande.

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Negen Stratjes

S. 21 ff. images F/G6/7/Google Map

Kleinstädtisches Amsterdam: In den malerischen »Negen Straatjes« im westlichen Grachtengürtel zwischen Singel und Prinsengracht kann man durch kleine Läden bummeln und im Pompadour selbst gemachte Schokolade kosten.

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Hermitage Amsterdam

S. 29 images G9/Google Map

Innovatives Amsterdam: Das derzeit schönste Museum der Stadt in einem historischen Bau am Wasser zeigt in einem lichtdurchfluteten Raum-Labyrinth Schätze aus St. Petersburg.

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Bimhuis

S. 38, 55, 59 images D/E10/Google Map

Cooles Amsterdam: In dem schwarzen Kasten am Muziekgebouw aan′t IJ groovt und swingt es jede Nacht, der Blick durch die verglaste Front auf die vorbeirauschenden Schnellzüge vom nahen Hauptbahnhof hat es in sich.

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Café’t Mandje

S. 53 images aB4/Google Map

Gemütliches Amsterdam: Der Ohrensessel unter den Kneipen, ideal um den Tag zu vergammeln und alte Postkarten zu entziffern, wunderbar oldfashioned, sogar die Musik ist von damals.

Stadttour

Ein Rundgang durch Amsterdam

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Vormittag

Centraal Station (Hauptbahnhof) – Museum Amstelkring – Oude Kerk – Nieuwmarkt – Krom Boomsslot – Zuiderkerk – Rembrandthuis – Waterlooplein – Stopera – Rembrandtplein – Tuschinski – Bloemenmarkt – Begijnhof – Schuttersgallerij.

Mittag

Lunch im Innenhof des Amsterdams Historisch Museum oder im Museumscafé »Mokum«.

Nachmittag

Kalverstraat – Dam – Koninklijk Paleis – Raadhuisstraat – Bartolottihuis – Herengracht – Nieuwendijk.

Wer Amsterdam durch seinen Hauptbahnhof images aA4/5/Google Map betritt, steht gleich mit beiden Beinen im größten Problem der Stadt – der Bau der neuen U-Bahn beschäftigt sie schon seit Jahren. Seit 2003 war der Platz vor dem Bahnhof für lange Jahre eine Großbaustelle, doch wie es aussieht, wird alles planmäßig im Jahr 2017 fertig sein. Derzeit wird zum Wasser hin der Ausgang als Ladenpassage renoviert und vor dem Bahnhof werden die Haltestellen neu gestaltet. 2,3 Milliarden Euro wird das Projekt nach aktuellen Schätzungen bis dahin verschlungen haben. Der Hauptbahnhof ist eine zentrale Schnittstelle für die neue Metrolinie, die unterirdisch Nord und Süd verbinden soll. Problematisch ist dabei, dass der U-Bahn-Tunnel mitten unter der Altstadt durchführt. Und die Häuser, Kirchen und Paläste der Altstadt stehen nun mal auf Hunderte Jahre alten Holzpflöcken in einer weichen Sandschicht.

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Centraal Station: Vom Stararchitekten des 19. Jahrhunderts entworfen

Auch das prunkvolle Gebäude des Hauptbahnhofs, der Centraal Station, einst von P. J. Cuypers, dem Stararchitekten des 19. Jahrhunderts, entworfen, steht auf drei künstlichen Inseln; Tausende von Baumstämmen bilden im sumpfigen Boden das Fundament für den Neorenaissance-Klotz. Natürlich haben sich die Amsterdamer Ingenieure von heute ausgiebig und weltweit mit Kollegen beraten, unter anderem auch mit denen in London, die ihre Tunnel der dortigen »Jubelee Line« mit Erfolg direkt am Big Ben und der Themse vorbei bauten, doch jeder Ort hat seinen eigenen Boden und der Amsterdamer Sand ist viel weicher als der Londoner Lehm.

Das zeigt sich auch abseits vom Bahnhof auf der anderen Straßenseite. Wir gehen Richtung Zeedijk (Seedeich) und orientieren uns am Hotel Victoria images E8/Google Map aus dem Jahr 1890. Wer sich die Fassade des Vier-Sterne-Hotels genauer ansieht, entdeckt – rechts von der Eingangstür – darin eingemauert ein kleines Haus. Dessen einstiger Besitzer wollte sein Domizil nicht verkaufen und pokerte um den Preis. Statt Unsummen zu zahlen, ließ man ihm seinen Willen und baute das palastartige Gebäude drumherum. Heute steht die historische Fassade unter Denkmalschutz. Dahinter verbergen sich 306 Zimmer auf sieben Etagen, dazu ein Fitnesscenter mit Innenpool und türkischem Dampfbad.

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Vor dem Hotel geht es links zum Zeedijk, und wenn wir in den Sint Olofssteeg einbiegen, befinden wir uns schon in einem der ältesten Gevierte der Stadt, heute ein Teil von Chinatown images aB/aC4/Google Map. Hier standen im 15. Jahrhundert Holzhäuser, die mit Stroh gedeckt waren, doch weil Brände immer wieder ganze Stadtteile zerstörten, wurden per Bauordnung nur noch Steinhäuser erlaubt. Die waren allerdings oft zu schwer für die Pfähle im Untergrund, die an dieser Stelle 15 Meter in den Boden reichen.

Die Einheimischen vergleichen die instabile Welt unter ihren Füßen gern mit einer Lasagne – einige Schichten Sand und dazwischen jede Menge Sauce. Knicken einige Pfähle unter dem Gewicht ein, gerät das Haus in Schräglage. Manche Schieflage ist allerdings auch vom Bauherrn ausdrücklich gewünscht. So sind die Giebel der schmalen Häuser mit Absicht nach vorne geneigt, weil man Möbel, Klavier und andere große Lasten nicht durch die handtuchschmalen Treppenhäuser nach oben balancieren kann, sondern per Flaschenzug am Hebebalken durch die Fenster hievt.

Wir gehen vorbei an dem historischen Café »Int Aepjen« images aA4/Google Map (Zeedijk 1), dem Kleinen Affen, wo früher die Seeleute einkehrten, und über die Brücke mit der Schleuse, die das Süßwasser der Amstel (die der Stadt ihren Namen gab) vom Meerwasser trennt. Die Schmucksteine in den Fassaden erzählen vom Goldenen Zeitalter, als Amsterdams Hafen der größte der Welt war und die holländischen Handelsschiffe nicht nur Gewürze und Spezereien, sondern auch Kuriositäten wie Kamele an Bord hatten, wenn sie nach Amsterdam zurückkehrten. Die Fassadensteine mit den prächtigen Reliefs gaben Auskunft über das Haus und seine wohlhabenden Bewohner.

Im 16. Jahrhundert befand sich Amsterdam mitten in einem blutigen Glaubenskrieg: Die Spanier beanspruchten Holland und zwangen die Menschen zum Katholizismus. Erst nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien wurde in Amsterdam wieder die Glaubensfreiheit eingeführt und der Handel erreichte eine neue Blütezeit. Während der Reformation kehrten sich die Verhältnisse um und die Katholiken standen auf dem Index. Damals entstanden in Amsterdam die versteckten Dachboden- oder »Schlupfkirchen«, wie sie die Einheimischen nennen. Mehr als 25 solche geheimen Kirchen gab es in der Stadt, aber nur eine ist in fast unverändertem Zustand erhalten: Verborgen hinter der Fassade eines gewöhnlichen Wohnhauses aus dem 17. Jahrhundert lässt sie sich im heutigen Museum Ons’ Lieve Heer op Solder (etwa: Unser lieber Herrgott auf dem Dachboden) images aB4/Google Map, dem zweitältesten Museum der Stadt, besichtigen.

Der Kaufmann Jan Hartman ließ die Kirche zwischen 1661 und 1663 in der obersten Etage seines Wohnhauses erbauen, denn als überzeugter Katholik wollte er sich dem Diktat der Calvinisten nicht beugen. Die Seeleute durften glauben, was sie wollten, aber für Jobs beispielsweise in der Stadtverwaltung musste man protestantisch sein. Übrigens war es erst Napoleon, der Staat und Kirche trennte, als er 1806 die Niederlande besetzte. Davor waren katholische Messen offiziell verboten, wurden aber mehr oder weniger geduldet, solange man öffentlich nichts davon mitbekam. In keinem Fall durfte man die Privatkirchen von außen als solche erkennen. Also schoben die Inhaber der Stadtverwaltung Geld zu und dafür wurde ihr religiöses Treiben toleriert.

Wer heute im Oudezijds Voorburgwal 40 die schmalen Treppen nach oben steigt, findet immer noch die Gardinen zur Straßenseite geschlossen, an den Wänden hängen im Dämmerlicht die echten Gemälde von damals, ein Jacob Ruisdael, ein Jan van Goyen, beides renommierte Vertreter der klassischen holländischen Landschaftsmalerei. Ein paar Treppen höher entdeckt man im Zwischenstock einen Verschlag mit Wandbett und Kruzifix, den Schlafraum des Priesters. Umso größer erscheint Jan Hartmans Hauskirche im vierten Stock. Rund um den Altar ist Platz für eine Galerie und die Orgel. Die marmornen Säulen neben dem Altar sind ein Fake: Weil echter Marmor zu viel Gewicht gehabt hätte, behalf man sich mit aufgemalter Marmorstruktur. Die Kanzel ist aus Platzgründen linker Hand in den Altar eingebaut und kann bei Bedarf ausgeklappt werden. Der Blick aus dem Fenster geht über die Dächer direkt auf die Türme der St. Nikolauskirche.

Bevor man das erstaunliche Haus wieder verlässt, sieht man im Erdgeschoss, wie eng und gedrängt die Familie hauste, die Gott so viel Platz überließ. Auch die weiß-blau gekachelten Wände der Spülküche sind noch im Originalzustand, genau wie das kleine Plumpsklo hinter der Tür. Das wird übrigens zur Freude aller Kinder »Pupsdose« genannt. Im Hausflur hängt ein Plan, der die hufeisenförmige Anlage der historischen Altstadt zeigt – ein Geviert, in dem heute 80 000 Menschen leben.

Wenige Schritte weiter stehen wir vor der Oude Kerk images aB3/Google Map, der ältesten Kirche der Stadt, die 1306 geweiht wurde, und sind damit auch schon mitten im umstrittenen Rotlichtviertel. Die Kirche wird heute nur noch als Ausstellungsraum genutzt. In ihrem malerischen Innenraum verbirgt sich ein originelles Suchspiel: Unter der großen, auf Marmorsäulen ruhenden Orgel aus dem Jahr 1742 findet man eine Wandmalerei, wobei die Holzvertäfelung zwischen den Säulen mit einer Marmorimitation versehen wurde – das bedeutet weniger Gewicht für das Fundament, das im weichen Moorboden verankert ist. Als das Ganze 1978 restauriert werden musste, malte der Marmormaler Henk Dogger auf einfallsreiche Weise sein Selbstportrait in das Bild hinein – das Ergebnis findet man links unter der Orgel, nahe dem Fußboden. Prächtig sind die drei Glasmalereifenster aus dem Jahr 1955.

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St. Nikolauskirche: berühmt für ihre prachtvolle Sauerorgel

Die Kirche ist das Herz des Rotlichtviertels De Walletjes images aB/aC3/4/Google Map, das ebenso wie die Oude Kerk eine wichtige Rolle in John Irvings Roman »Bis ich dich finde« spielt. In den Augen der Amsterdamer Stadtväter ist die Gegend ein Ärgernis, auch wenn sie tagsüber harmlos und familienkompatibel scheint. In der Vergangenheit sind trotzdem alle städtischen Maßnahmen, mit denen gegen Menschenhändler, Drogendealer, Geldwäscher und Zuhälter vorgegangen wurde, halbherzig geblieben. Doch um den Ruf der Altstadt aufzubessern, verringerten die Behörden die Zahl der Bordelle und Coffeeshops, in denen Haschkekse und andere Cannabisprodukte verkauft werden. Außerdem hat die Stadtverwaltung 100 Gebäude übel beleumundeter Besitzer zurückgekauft und zahlreiche Sex-Schaufenster, in denen sich Prostituierte zur Schau stellten, geschlossen. Ihre Zahl sank bis 2014 von knapp 500 auf etwa 200. Die 78 Coffeeshops im Rotlichtviertel wurden auf 38 reduziert.

Amsterdam wird also auch künftig keineswegs zur »City ohne Sex« werden, aber die Stadt ist fest entschlossen, ihr Schmuddelimage loszuwerden. Dafür lockt man avantgardistische Designer, Künstler und Modemacher ins Rotlichtviertel und stellt ihnen preiswerten Ausstellungsraum zur Verfügung; schon heute hat sich der Charakter der kleinen Gassen dadurch merklich verändert. Ebenfalls im Auftrag der Stadt entstanden diverse Kunstwerke, die das Image der Prostituierten verbessern sollen, zwei davon sind direkt neben der Oude Kerk zu sehen. Ins Kopfsteinpflaster des Kirchenvorplatzes ist eine schimmernde Bronzebüste eingelassen, und nicht weit entfernt steht eine stolze Frauenskulptur – sie soll Respekt und Anerkennung symbolisieren für diejenigen, die meist ohne diese Attribute behandelt werden.

40 bis 50 Millionen Euro kostet es laut Plan, die Infrastruktur der Walletjes zu sanieren. Um aber aus dem heutigen Vergnügungsgeviert wieder ein urbanes Viertel mit Luxushotels, schicken Läden und großen Wohnungen zu machen, muss wohl das Doppelte investiert werden, das schätzt jedenfalls die Süddeutsche Zeitung und zitiert den Bürgermeister: »Seit 400 Jahren kämpft die Stadt mit den Walletjes, und das wird auch so bleiben.« Immerhin seit 30 Jahren streitet die Stadt übrigens auch mit der Regierung in Den Haag darum, dass die historische Innenstadt als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt wird. Auch das dürfte noch dauern.

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Rotlichtviertel De Walletjes: Künftig weniger Haschkekse

Über den Oudekennissteeg, Oudezijds Achterburgwal und den Molensteeg kommen wir zum Nieuwmarkt images aC4/Google Map, wo das Gebäude der Stadtwaage De Waag mit sieben spitzen Türmen zum Himmel zeigt. Im 15. Jahrhundert galt es als Stadttor, später wurde es das Zunfthaus der Maurer – über der Tür sieht man noch Zunftzeichen wie die Maurerkelle eingelassen. Zu Rembrandts Zeiten gab es hier Anatomieunterricht und eben hier entstanden auch einige seiner berühmtesten Gemälde wie die »Anatomische Vorlesung des Dr. Nicolaes Tulp«. Heute ist das Café im Erdgeschoss mit den Tischen im Freien ein beliebter Treffpunkt für Einheimische und Besucher.

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Die ehemalige Stadtwaage auf dem Nieuwmarkt ist heute ein Café

In der Koningsstraat zeigen die Häuser auf hundert Metern Länge ganz ungewohnte Fassaden: Hier wurde in den 1970er Jahren alles Alte niedergerissen – als man nämlich die Metro baute, die 1977 in Betrieb ging. Rechter Hand biegen wir ab in die Krom Boomssloot images aD5/Google Map, folgen der Gracht und genießen Ausblicke in stille Gassen und verträumte kleine Idyllen aus Stockrosen wie in der Korte Dijkstraat.

Wer mag, schaut in der Zuiderkerk images aD4/Google Map vorbei. Im ältesten protestantischen Gotteshaus Amsterdams von 1611 ist heute eine Ausstellung zu neuen Wohnungsprojekten der Stadt zu sehen. Die Dauerausstellung zeigt die Stadtentwicklung vom Mittelalter bis über die Gegenwart hinaus, Wanderausstellungen erläutern kommende Bauprojekte. Mit etwas Glück ertönt aus dem prächtigen Turm das Glockenspiel des berühmten Glockengießers Francois Hemony aus dem 17. Jahrhundert.

Ein Touristenmagnet ist das images Rembrandthuis images aE4/Google Map am Anfang der Jodenbreestraat, das dem Künstler von 1639 bis 1658 als Wohnung und Atelier diente. Seine Werke sind zwar über die ganze Welt verteilt, doch in seinem Wohnhaus in der Jodenbreestraat hängt kein einziges von Weltrang. Immerhin sind viele kleine Arbeiten zu sehen, über 250 Radierungen, Kupferstiche und Zeichnungen. Manche sind nur bierdeckelgroß, aber alle zeigen Rembrandts Kunst, Szenen und Porträts mit nur wenigen Strichen meisterlich zu skizzieren. In den rekonstruierten Wohnräumen bekommt man einen Eindruck vom damaligen Alltag. Trotz der vielen Verkäufe lebte Rembrandt finanziell weit über seine Verhältnisse, Schulden zwangen ihn, das Haus und sein ganzes Inventar zu verkaufen. Später zog er in die Rozengracht 84 im Jordaanviertel.

Eine Dokumentation zu Beginn der Ausstellung illustriert, wie mühsam es 1908 war, Rembrandts Wohnung zu rekonstruieren. Seitdem ist das Haus im ehemaligen Judenviertel ein kleines Museum. Die engen, knarrenden Treppen führen bis ganz oben zum Atelier unterm Dach und in die Werkstatt mit der Materialsammlung des Meisters. Dort fertigt ein Museumsmitarbeiter noch Drucke auf einer alten Presse an und man kann zuschauen, wie Radierungen entstehen.

Auf dem nahen Flohmarkt am Waterlooplein images aE5/Google Map gibt es außer Krempel und Klamotten auch giftgrüne Cannabis-Lutscher, die sich prima als Souvenir für Freunde und Kollegen eignen – der herbe Geschmack hält den Rausch in Grenzen.

Der mächtige Komplex der Stopera images aE/aF4/Google Map genannten Kombination aus Stadhuis (Rathaus) und Muziektheater (Oper), der linker Hand alles beherrscht, war bei der Bevölkerung lange Zeit sehr umstritten, und das nicht nur, weil das Werk des Architekten Cees Dam mehr als 136 Millionen Euro kostete, sondern auch weil der moderne Klotz in starkem Gegensatz zum beschaulichen Grachtenidyll ringsumher steht und den Waterlooplein beherrscht. Das Muziektheater wurde 1986 eröffnet und beherbergt neben der Niederländischen Oper auch das berühmte Nationalballett und die Niederländischen Sinfoniker.

In der Passage zwischen Stadhuis und Muziektheater ist NN zu Hause: NN steht für Normalnull und ist europaweit die Basis für die Höhenmessung. Der Eichpunkt ist als Bronzeknopf zu sehen, knapp daneben ragen drei Glassäulen aus dem Boden, zwei zeigen den aktuellen Meeresspiegel an, in der dritten sprudelt es in fünf Metern Höhe – so hoch war der Wasserstand bei der letzten Flutkatastrophe im Jahr 1953.

Auf der anderen Seite des Wassers geht es durch den Zwanenburgwal in die Staalstraat images aE3/4/Google Map, wo im Café mit der Hausnummer 19 der beste Schokoladenkuchen von Amsterdam serviert wird. Nicht weit entfernt, Hausnummer 7 B, bietet ein Designstore wohl die verrücktesten Geschenke, die man finden kann. Wer seine Wohnaccessoires im Droog Flagship kauft, der muss sich um Langeweile bei seinen Gästen jedenfalls keine Gedanken mehr machen: Stühle aus gepressten Klamotten, Weingläser als Haustürklingel, Lampen aus Milchflaschen oder hundert Glühbirnen, Tassen mit dem Griff in der Innenseite, ein Reißverschluss als Halskette – selbst wer hier nichts kauft, hat sich prächtig amüsiert. Für Freunde mit einem süßen Zahn empfehlen sich die Delikatessen von Puccini (Hausnummer 17), darunter die feinsten Pralinen nördlich von Brüssel.

Nach dem Besuch des Droog folgen wir der Straße am Groenburgwal entlang und gehen linker Hand über die Brücke. Vorbei an der prachtvollen Fassade des Doelen Hotels, für das Rembrandt einst die »Nachtwache« gemalt hat, führt der Weg Richtung Rembrandtplein images aF3/Google Map.

Auf dem Platz des Genies der Malerei steht sein berühmtestes Werk, die »Nachtwache«, lebensgroß und zum Anfassen in 3-D, sogar samt kläffendem Hund. Speziell am Abend wird die Piazza zum rummeligen Treffpunkt und die Cafés und Kneipen ringsherum sind gut besetzt. Wenn dann noch Ajax Amsterdam spielt, ist auf dem Rembrandtplein die Hölle los. Wer nicht gerade mittendrin sitzen will, besieht sich den Trubel von der Terrasse des berühmten Grand Café l’Opera images aF3/Google Map.

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Die erste protestantische Kirche der Stadt: die Zuiderkerk

Selbst wer jetzt keine Lust auf einen Kinobesuch hat: Das images Tuschinski images aF2/3/Google Map in der Reguliersbreestraat 26 muss man gesehen haben – es ist das schönste Kino der Niederlande und das Vermächtnis eines außergewöhnlichen Lebens. Der gelernte Schneider und Filmliebhaber Abraham Tuschinski, der zu diesem Zeitpunkt in Rotterdam schon mehrere Kinos besaß, brachte im Juni 1919 die ersten der 1200 benötigten Pfähle für den Bau seines Lebenstraums mit einem Frachtschiff über den Rhein nach Amsterdam. Der prachtvolle Bau kostete etwa vier Millionen Gulden und war im Oktober 1921 abgeschlossen.

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Flohmarkt am Waterlooplein

Das Gebäude ist derart ungewöhnlich, dass ein eigener Baustil nach ihm benannt wurde – es ist eine Mischung aus Art déco, Neugotik und Amsterdamer Schule. Die Fassade ist mit glasierten Ziegeln, Keramik-Skulpturen und schmiedeeisernen Gittern sowie Lampen verziert. Die Heizungs- und Klimaanlage des Gebäudes galt als revolutionär, weil es damit erstmals eine gleichbleibende Temperatur auf allen Zuschauerplätzen gab. Die Kinoorgel des großen Saals mit damals 1600 Plätzen wurde von der legendären amerikanischen Wurlitzer Company geliefert. Ein kleinerer Saal mit 250 Plätzen, ein »japanisches Teezimmer«, eine »maurische Suite« und elegante Foyers machten den Komplex endgültig zur Sensation.

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Das plüschige Tuschinski gilt als schönstes Kino der Niederlande

Während der Besetzung Amsterdams durch die Nationalsozialisten wurde der Bau 1940 geschlossen und Tuschinskis Reich ging in die Brüche. Seine Kinos in Rotterdam wurden von deutschen Bomben zerstört. Tuschinski selbst wurde mit seiner Frau und seinen Mitarbeitern deportiert und 1942 in Auschwitz ermordet, ebenso wie der Architekt Hijman Louis de Jong. Die deutschen Besatzer nutzten das Amsterdamer Kino ab 1944 hauptsächlich als Varietétheater. Nach der Befreiung Amsterdams wurde es in Tuschinski-Theater zurückbenannt und wieder als Kino genutzt. Neben Film- und Varietévorführungen traten Weltstars wie Maurice Chevalier, Judy Garland, Marlene Dietrich, Édith Piaf, Dizzy Gillespie, Fats Domino und Dionne Warwick auf. 1969 wurde das hauseigene Orchester aufgelöst, 1974 wurde das Orgelspiel vor den Filmvorführungen aufgegeben. Zur Jahrtausendwende wurde das Kino umfassend renoviert, durch einen neuen Flügel erweitert und schließlich als Pathé Tuschinski (als Teil der Pathé Kinokette) neu eröffnet, im großen Saal finden heute niederländische Filmpremieren statt.

»Aus der Mauer essen« nennen die Amsterdamer den schnellen Imbiss aus dem Automaten. Und die besten Kroketten der Stadt gibt es eindeutig in den Glasvitrinen bei Febo images aF2/3/Google Map in der Reguliersbreestraat 38. Mittags beschränken sich die meisten Einheimischen auf einen Imbiss, auf Hapjes und Broodjes, Kroketten, Frühlingsrollen, Bitterballen (die runde Spielart der Kroketten) und Frikandel, denn die Hauptmahlzeit ist das Abendessen. Die knackfrisch zubereiteten und preiswerten Köstlichkeiten aus der Wand sind eine kulinarische Spezialität und gehören genauso zu Amsterdam wie der Äppelwoi zu Frankfurt und die Weißwurst zu München.

Frisch gestärkt geht es Richtung Singelgracht und ins Getümmel auf dem Bloemenmarkt images aF1/2/Google Map. Einst kamen die Gärtner per Boot hierher, um die Pflanzen und Zwiebeln aus ihren Gärtnereien zu verkaufen, heute bieten die Händler ihre Waren längst in massiven, fest vertäuten Ständen an. Das letzte echte schwimmende Blumenboot liegt gegen Ende des Blumenmarktes, gegenüber vom Weihnachtsladen.

Nach dem Blumenmarkt geht es rechter Hand in den images Begijnhof images aE1/Google Map, der versteckt vor dem Trubel wie ein stiller Dorfanger inmitten der Stadt liegt – eine Wiese mit hohen Bäumen, umsäumt von jahrhundertealten Häusern, vielen Blumen und einem mittelalterlichen Kirchlein. Im Mittelalter hatte jede Stadt in Holland solche Wohnhöfe, die von reichen Bürgern gestiftet wurden. Amsterdams Begijnhof wurde 1346 gegründet und lag damals am äußersten Rand der mittelalterlichen Stadt. Hier wohnten alleinstehende Frauen, die in einer religiösen Gemeinschaft leben, aber keine Nonnen werden wollten. Sie widmeten sich vor allem der Altenpflege. Zwei Feuer zerstörten den Hof im 15. Jahrhundert fast komplett; die heutige Bebauung stammt größtenteils aus dem 17. Jahrhundert. Das Het Houten Huis mit der Nummer 34 wurde dagegen bereits um 1470 errichtet und soll das älteste Holzhaus der Niederlande sein. Gegenüber der englischpresbyterianischen Kapelle versteckt sich in zwei Wohnhäusern eine weitere katholische Geheimkirche aus dem 17. Jahrhundert.

Der Name Begijnhof leitet sich wahrscheinlich von der Schutzheiligen der frommen Frauen, der Heiligen Begga, ab. Die letzte Begijne starb 1976. Die hübschen Häuser mit den grünen Vorgärten werden auch heute noch vorwiegend an katholische Frauen, meist Witwen, aber auch immer häufiger an Studentinnen vermietet. Das Mindestalter für eine Bewerbung ist 25 Jahre, und die Frauen dürfen hier nur ohne Freund leben oder sie müssen sich gemäß der jahrhundertealten Hausordnung eine neue Bleibe suchen.

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Der historische Begijnhof: Männer müssen bis heute draußen bleiben

Zwischen dem Beginenhof und der Kalverstraat versteckt sich die Schuttersgallerij images aD1/2/Google Map, die Schützengalerie. In dieser überdachten, öffentlichen Gasse, die faktisch zum Historischen Museum gehört, kann man 15 riesige Gemälde bewundern, allesamt Porträts der Amsterdamer Schützengilden aus dem 17. Jahrhundert. Es ist einer der wenigen Orte in Europa, an dem Kunstwerke von solchem Rang in einer öffentlichen Gasse an der Wand hängen. Das berühmteste Schützenporträt ist natürlich Rembrandts »Nachtwache« – die hängt allerdings nicht auf der Straße, sie kann man auch weiterhin nur im Rijksmuseum sehen. Wer die Schuttersgallerij des Historischen Museums verlässt, sollte sich unbedingt umdrehen: Die kleine Pforte an der Kalverstraat ist ein Prachtstück.

Zum Komplex des Amsterdams Historisch Museum images aD1/Google Map, das ehemals ein Waisenhaus war, gehören auch die beiden großen, hellen Innenhöfe, Oasen der Stille und die ideale Location für eine Lunchpause. Sollte es regnen, ist der Eingang des Museumscafés »Mokum« (Kalverstraat 92, images 020-623 67 36, www.museumcafemokum.nl, tägl. 10–17 Uhr) nur wenige Schritte entfernt. Früher waren hier die Stallungen des Waisenhauses, heute ist es ein netter Ort zum Verweilen mitten in der Stadt.

In der Kalverstraat empfängt uns wieder der städtische Rummel, der uns bis zum Ende unseres Rundgangs begleitet. Der images Dam images aC2/Google Map gehört zu den belebtesten und beliebtesten Plätzen Europas; das Monument in der Mitte erinnert an die Befreiung von der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg. Am Dam befindet sich auch die Amsterdamer Dependance des berühmten Londoner Wachsfigurenkabinetts Madame Tussauds mit typisch holländischen Ergänzungen wie dem Nikolaus, der sich hier in Lebensgröße bewundern lässt.

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Dam mit dem Königspalast: Nicht der schönste, aber der turbulenteste Platz der Stadt

Nach der holländischen Legende reist »Sinterklaas« jedes Jahr Mitte November aus Spanien mit einem Dampfschiff an. Der Mann mit rotem Talar, Mitra und langem weißen Bart wird in Amsterdam als Nationalheiliger empfangen: Vom Hafen zieht eine große Prozession zum Königspalast, wo der Nikolaus von Königin Beatrix begrüßt wird. Überhaupt ist in kaum einem anderen Land die Tradition um den heiligen Nikolaus so fest verankert wie in den Niederlanden. Im 13. Jahrhundert soll in Utrecht bereits ein Fest um St. Nikolaus gefeiert worden sein, und auch als sich die Reformation im Norden des Landes durchsetzte, wurde die katholische Tradition weitergeführt.

Die Legenden um den Heiligen gehen auf historische Begebenheiten zurück. Ihm wird nachgesagt, dass er Stürme bändigte, wenn verzweifelte Seeleute ihn um Hilfe anriefen, und Gefängnismauern einstürzen ließ, sobald zu Unrecht Verfolgte zu ihm flehten. Seine Verehrung findet in vielen Kirchenbauten ihren Ausdruck, allein im 12. und 13. Jahrhundert entstanden in Holland über 20 Sankt-Nikolaus-Kirchen; Amsterdam machte Nikolaus zu seinem Schutzheiligen. Heute wird das Fest über mehrere Wochen inszeniert: Von der Ankunft des Sinterklaas bis zum 5. Dezember berichtet das Sinterklaas Journaal jeden Tag, was der Nikolaus und seine Helfer, die »Zwarten Pieten«, im Land erleben.

Die Niederländer feiern ihr Nikolausfest schon am 5. Dezember, am Vorabend zum Geburtstag des Heiligen. Je nach Familientradition bringt Sinterklaas die Geschenke persönlich oder er stellt den Sack vor die Tür und klopft an, bevor er verschwindet. Für Kinder ist das Sinterklaas-Fest ein spannendes Spektakel, für Erwachsene eine nostalgische Erinnerung an die eigene Kindheit und auf jeden Fall ist es ein Stück niederländische Identität. Weihnachten spielt im Vergleich nur eine untergeordnete Rolle.

Optisch wird der Dam vom klassizistischen Koninklijk Paleis (Königlicher Palast) images aC1/2/Google Map beherrscht, ein prunkvolles Symbol der Macht und des Reichtums der Handelsherren, die es im 17. Jahrhundert als Rathaus erbauen ließen. Im 19. Jahrhundert ging es in den Besitz des Königs über, denn den Ratsherren wurde der Unterhalt des prächtigen Bauwerks zu teuer.

Ein weiteres schönes Exemplar der Baukunst dieser Epoche finden wir auf dem Weg vom Dam über die Raadhuisstraat zur Herengracht: das Bartolottihuis images E7/Google Map. Die ulmenbestandene Gracht führt zum Herenmarkt. Wen jetzt noch die Kauflust überkommt, der kann sich in der Einkaufszone Nieuwendijk austoben, die im großen Bogen zum Dam zurückführt – die meisten Läden sind auch am Sonntag geöffnet.

Hausboot-Idyll vor dem Ende?

Besucher lieben sie und auf den Grachten-Rundfahrten geben sie die schönsten Fotomotive ab: Amsterdams Wohnboote, mal umgebaute alte Lastkähne, mal schwimmende Bungalows, mal leicht desolate Althippie-Heime, auf denen verschiedenstes Grünzeug aus den Kübeln sprießt, wo Katzen sich in der Sonne räkeln und das Weinglas auf dem wackligen Tisch neben dem Liegestuhl von Bewohnern kündet, die das Leben auch mit wenig Geld zu genießen verstehen. Im Windschatten der ausgemusterten Kähne kann man immer wieder Stockenten in ihrem Nest entdecken. Mehr als 2400 Hausboote liegen in den Grachten und Kanälen von Amsterdam, die meisten dümpeln auf Singel und Prinsengracht. Bei den Touristen beliebt, sind sie für viele Anwohner auf dem »Festland« ein Ärgernis. Der Grund: Die meisten Hausboote sind zwar mit fließend Wasser, Strom und Gasheizung ausgerüstet, ihr Abwasser aber pumpen einige immer noch direkt in den Kanal. Zwar werden die Kanäle nachts durchgespült, doch besonders in heißen Sommern genügt das nicht immer, um alle Abfälle wegzuschwemmen. Nun schafft die Stadt Abhilfe: Bis 2017 sollen nach und nach alle Boote an das Abwassersystem angeschlossen werden.

In Holland hat das Leben auf dem Wasser eine lange Tradition. Nach Schätzungen gibt es auf den Gewässern der Niederlande rund 10 000 Hausboote, davon immerhin ein Viertel in den 165 Grachten Amsterdams. In den 1960er und 1970er Jahren war diese Art des Wohnens besonders unter Künstlern und jungen Leuten beliebt. Und es war nicht schwer, an einen solchen Kahn zu kommen, denn nach dem Zweiten Weltkrieg tauschte Holland seine Flotte aus und verkaufte die alten Boote für wenig Geld an Privatleute.

Viele der Bewohner aus Zeiten der Flower-Power sind heute Rentner und leben immer noch auf ihren liebevoll instand gehaltenen Kähnen. Für den Umbau ihrer Boote auf ein Abwasserabpumpsystem fehlt ihnen jedoch das Geld. So könnten die traditionellen Hausboote und ihre ursprünglichen Bewohner bald aus dem Stadtbild Amsterdams verschwinden und durch noble Behausungen ersetzt werden. Wer dann noch das originale Hausbootfeeling erleben will, muss selbst in einer der privaten Hausbootpensionen übernachten. Oder das »Woonbootmuseum« gegenüber der Prinsengracht 296 besuchen.

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Das Amsterdamer Hausboot: ein Relikt aus der Hippie-Zeit