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Von der Autorin bisher bei KBV erschienen:

Suche Trödel, finde Leiche

Ingrid Schmitz, geb. 1955 in Düsseldorf, ist gelernte Speditionskauffrau und arbeitete bei einer kanadischen Reederei und im sowjetischen Außenhandel. Seit 2000 ist sie hauptberufliche Autorin und hat mittlerweile an die 60 Kurzkrimis und mehrere Kriminalromane veröffentlicht. Ihre Serienheldin in bislang fünf Romanen ist die private Ermittlerin Mia Magaloff.

Ingrid Schmitz gibt regelmäßig Krimianthologien heraus, bei KBV zuletzt Suche Trödel, finde Leiche und ist Mitglied bei »Mörderische Schwestern«, im »Syndikat« und bei der »International Association of Crime Writers«.

Ingrid Schmitz

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Originalausgabe

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel:Autorin zum Anfassen

2. Kapitel:Der Stalker

3. Kapitel:Bei Ankunft Krimihotel

4. Kapitel:Der Blutrausch

5. Kapitel:Der falsche Prinz

6. Kapitel:Klara Fall

7. Kapitel:Der Fehltritt

8. Kapitel:Die Giftpflanze

9. Kapitel:Der unschuldige Bruder

10. Kapitel:TeaTime-Crime

11. Kapitel:Eins, eins, zwei, Polizei

12. Kapitel:Der unverhoffte Abschied

13. Kapitel:Keine Hoffnung mehr

14. Kapitel:Das mörderische Menü

15. Kapitel:Sitting Dead

16. Kapitel:Das Tattoo

17. Kapitel:Der Abschiedsbrief

18. Kapitel:Feuer frei

19. Kapitel:Kein schöner Anblick

20. Kapitel:Wie konnte das passieren?

21. Kapitel:Die tödliche Suppe

22. Kapitel:Zur eigenen Sicherheit

23. Kapitel:Tödliche Erinnerungen

24. Kapitel:Die Letzte macht die Tür zu

25. Kapitel:Der Fünfziger

26. Kapitel:Wo bin ich? Was soll das?

27. Kapitel:Café Sherlock

28. Kapitel:Du bist der Nächste

29. Kapitel:Die heiße Spur

30. Kapitel:Amüsiert ihr euch?

31. Kapitel:Das Spiegelei

32. Kapitel:Ich bereue nichts!

33. Kapitel:Das Versöhnungseis

34. Kapitel:WC-Weisheiten

35. Kapitel:Hier spricht der Tätowierer!

36. Kapitel:Die bittere Pille

37. Kapitel:Zu spät!

38. Kapitel:Alle Mann aufs Bett!

39. Kapitel:Du musst nichts befürchten!

40. Kapitel:Das große Kribbeln

41. Kapitel:Der unheimliche Anrufer

42. Kapitel:Die Wiederholungstäterin

Nachtrag

Epilog

Danksagung

1. Autorin zum Anfassen

Lea Schein war kein Pseudonym, sondern ihr echter Name. Leider bringt es nicht immer etwas, wenn man einen so wohlklingenden Namen hat, aber das stellte sie erst sehr viel später fest.

Sie nahm sich vor, mit diesem Namen groß rauszukommen und Karriere zu machen. Das sei sie sich, aber auch den Eltern schuldig, meinte sie an ihrem neunundzwanzigsten Geburtstag, den sie – wie all die Jahre zuvor – in ihrem Elternhaus gefeiert hatte. Diesmal jedoch ohne Freunde, denn die waren ihr auf dem Lebensweg abhandengekommen, weil sie ihr nicht geglaubt, nicht an sie geglaubt hatten. Was jedoch das Schlimmste war: Sie hatten ihr kein Geld mehr leihen wollen.

Lea öffnete freudestrahlend den Geburtstagskartenumschlag, der sich prall anfühlte und ihr sicher finanzielle Möglichkeiten für ein schönes Sommer-Outfit bescherte. Sie sah in den Umschlag und errötete, die Mundwinkel entglitten ihr nach unten. Schweiß sammelte sich auf der Stirn, tropfte vereinzelt auf das Schreiben und die Broschüre vom Jobcenter, dessen Mitarbeiterin ihr zum Geburtstag gratulierte und nächsten Montag einen Überraschungstermin für sie hatte.

Jobcenter. Nach langem Suchen im Computerprogramm und vielen Eignungstests bescheinigte die Arbeitende der Arbeitslosen mit peinlich berührter Stimme durchaus eine gewisse Intelligenz, sie wisse nur noch nicht, in welcher Kategorie. Lea könne weder richtig rechnen noch sei sie ein Organisationstalent, habe keine handwerklichen Fähigkeiten, und das Kreative beschränke sich auf ihre rege Fantasie, die aufgrund ihrer zurückhaltenden Art nirgendwo einsetzbar sei und schon gar nicht reiche, um damit Geld zu verdienen.

Lea strahlte und nickte zugleich. Ganz ihre Meinung. Bis auf das mit dem Geld. Das hatte sie bitter nötig.

Es war ja nicht so, dass sie noch nie gearbeitet hatte. Nein, sie war keinesfalls faul, sondern stets bemüht. Hatte sogar studiert, mehrmals, mehrere Semester. Das war mehr wie nix! Wie man nur mundartlich korrekt sagte.

»Und was ist mit Schriftstellerin?«, fragte Lea fast hysterisch, in einer Sekunde der Erleuchtung.

Die Vermittlerin der über tausend Jobs schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Das haben schon so viele versucht, damit reich zu werden. Ist nur in den seltensten Fällen gelungen. Da bin ich raus.« Sie langte nach dem Papierstapel auf ihrem Schreibtisch und gab ihr einen Flyer mit Zimmernummer und Ansprechpartner für besonders schwierige Fälle.

Beim Hinausgehen drückte Lea einem der vielen Wartenden den Zettel in die Hand. Der drehte ihn mehrmals nach allen Seiten um, so als suche er Fotos darauf.

Sechs Jahre später hatte sich eine Menge getan. Lea hatte stark an sich gearbeitet, es gelernt, mehr aus sich herauszukommen und auch mal auf die Leute zuzugehen. Sie strahlte Fröhlichkeit und Unbeschwertheit aus. Nur tief drinnen blieb sie traurig, weil sie mit fünfunddreißig Jahren immer noch arbeitslos und Single war.

Doch es dauerte nicht lange, da lernte sie tatsächlich jemanden kennen, der sie um ihrer selbst willen liebte, nicht nur wegen des schönen Namens. Er mochte ihre langen dunklen Haare, die grünen Augen, die vollen Lippen und ihren großen schlanken Körper. Seine ständigen Komplimente darüber waren ihr nicht unangenehm und vielleicht mit ein Grund, warum er ihr Freund wurde. Da musste er nicht gut aussehen. Im Grunde war nur eines wichtig: dass sie jemanden an ihrer Seite hatte, der einen wertvollen Charakter besaß und sich zu benehmen wusste. Ein letzter Zweifel an ihrer Männerwahl war jedoch geblieben.

Es war Mitternacht, als sie ein wenig beschwipst beim Privatsender anrief. In ihrer Verzweiflung wollte sie endlich wissen, wie es in ihrem Leben und mit ihrem schön gedachten Mann weiterging. Würden sie jemals heiraten und Kinder bekommen? Wenn ja, wie viele? Wenn nein, warum nicht?

Prompt folgte die Ernüchterung.

Gelangweilt mischte die Schnappatmende die Karten für Lea. Kopf und Busen wackelten dabei. Fast sah es so aus, als verneine sie ihr Gemurmel. Sie tippte mit den fleischigen Fingern auf die bunten Bilder. Beinahe vorwurfsvoll tutete sie: »Du wirst glücklich mit ihm. Er wohnt in deiner Nähe, wenn er nicht in der Ferne lebt. Hier …«, sie tippte auf eine für Lea verdeckte Tarotkarte. »Hier steht es! Eindeutig! Aber … du musst dich auch in Acht nehmen … darfst nicht leichtgläubig sein … also, nur was deinen Mann angeht. Mir kannst du natürlich glauben.«

»Werden wir Kinder bekommen?«

Sie räusperte sich verlegen. »Vielen Dank für den Anruf. Das war unsere Runde mit dem Schnelldurchlauf. Jeder hat nur eine Frage. Ruf einfach noch mal an. Vielleicht hast du ja Glück und kommst durch.« Sie drückte auf eine Taste hinter dem Buddha.

Danach hatte Lea nie wieder bei einer Kartenlegerin angerufen, sondern sich dafür entschieden, ihr Schicksal künftig selbst in die Hand zu nehmen. Sie kaufte sich Tarotkarten, übte, übte und übte und wurde beim TV-Sender sofort angenommen. Mehr noch, Lea war Monate später die bestbezahlte Kartenlegerin in der Wunschdenken-Szene. Meist riefen Männer an, die sich sonst eher zurückhielten. Sexy und geheimnisvoll sei sie, mit ihren grünen Augen, den dunklen Haaren und der fast flüsternden Stimme, und die Frauen schätzten ihre fantastischen Weissagungen.

Alles lief glatt. Auch mit ihrem Freund. Sie war so glücklich – kurz vor der Hochzeit zur Besinnung gekommen zu sein, gemerkt zu haben, dass er nur auf ihre Kosten leben wollte. Sie hatte ihn kurzerhand aus der Wohnung geworfen und seine Klamotten aus dem Fenster. Auch seine Zeitungen flogen hinterher, bis auf eine, die mit der äußerst interessanten Werbeanzeige auf der Rückseite. Die durfte bleiben.

Lea meldete sich auf der Akademie für Kreatives Schreiben an und schrieb und schrieb, wenn sie nicht gerade Karten legte und orakelte und orakelte. Dabei kam es ihr manchmal so vor, als sei das Kartenlegen ihr Hobby und das Schreiben ihr Beruf. Ihre Berufung war es allemal.

Nach der ersten eingereichten Kurzgeschichte bekam sie das Feedback des Kursleiters. Er bescheinigte ihr ein großes Talent im Fantasieren – jetzt hatte sie es sogar schriftlich. Lea zog kurz in Erwägung, ihren Job hinzuschmeißen und sich als Autorin selbstständig zu machen. Dafür müsste sie aber mehr Geschichten vorzuweisen haben, und deshalb hielt sie sich erst einmal mit ihrem großen Auftritt als Schriftstellerin zurück. Erst einmal.

Nach sehr vielen Anläufen und circa tausend Blatt ausgedrucktem Papier, wovon hundert brauchbar waren, brachte sie es auf eine stolze Kriminalgeschichte. Das war der beste Beweis, dass sie schreiben konnte. Das Geld für den Schreibkurs konnte sie sich also sparen und in Visitenkarten, eine eigene Website und einen neuen Laptop investieren. Der alte schrieb ihr nicht schnell genug.

… und wie das so ist, wenn sich die Interessen verlagern, machte es ihr keine Freude mehr, Karten zu legen, war sie mit ihren Gedanken nicht bei den Anrufern, sondern beim Schreiben.

»Hallo, wen habe ich in der Leitung?«

»Ist das nicht die anonyme Runde?«

»Ach ja, natürlich. Entschuldigung, Frau Höckskes. Noch da? Sagen Sie doch was …«

»Hallo? Hallo! Sind das meine Karten?«, klang es aus dem Off. »Ich möchte wissen, ob ein Geldsegen ins Haus steht.«

Lea mischte die Karten, pratschte sie laut auf den Tisch und murmelte dabei, wie sie es gelernt hatte. »Hm … ja, Ihnen steht eine große Karriere bevor. Sie werden noch in diesem Jahr Ihr erstes Buch veröffentlichen, und man wird Sie zur Frankfurter Buchmesse einladen, wo …«

»Aber ich bin doch Erzieherin, keine Autorin.«

»Wie? Ach so, ja … ja, das macht nichts. Sehen Sie hier das brennende Herz und das Buch mit den sieben Siegeln? Daneben der Grabstein? Sie sollten Krimis schreiben, ja … das steht hier.«

»Aber ich mag keine Krimis, nur Liebesromane … Hilfe, hoffentlich bedeutet der Grabstein nichts Unangenehmes …«

»Nicht, wenn Sie … Bitte, wie war Ihre Frage?«

Da sich die Fälle häuften, in denen die Anrufer sich über sie beschwerten, kam es, wie es kommen musste.

Ihr letzter Arbeitstag verlief eher ruhig. Also, nur für Lea, denn ihre Kolleginnen und Kollegen ließen die Sektkorken knallen, weil sie ihre schärfste Konkurrenz endlich losgeworden waren.

Die plötzlich gewonnene Freizeit nahm Lea zum Anlass, ihre Kriminalgeschichte unaufgefordert bei Verlagen einzureichen. Danach hatte sie täglich, und das wochenlang, dem Briefträger aufgelauert und ihm die Post aus der Hand gerissen, zudem minütlich in ihrem Posteingang die Mails abgerufen. Jedes Mal, wenn tatsächlich mal ein Verlag geantwortet hatte, war die Enttäuschung groß gewesen, weil es meist Absagen waren. Sie begannen alle mit: »Haben Ihren Text mit großem Interesse gelesen …«, aber dann, »… passt leider nicht in unser Programm.« Was wohl übersetzt hieß: Wir wollen deinen Müll nicht. Das redete sie sich zumindest ein. Aber nein, sie wollte nicht jammern, sondern ausführlichere Absagen als konstruktive Kritik ansehen. Wusste sie doch von berühmten Schriftstellern, dass ihre Erstlinge Jahrzehnte gebraucht hatten, um veröffentlicht zu werden. J.K. Rowling mit ihrem Harry Potter war ein gutes Beispiel dafür. Was hatte die Frau kämpfen müssen … Nur, so viel Zeit hatte Lea nicht. Die Miete musste regelmäßig bezahlt werden. Von ihrer Mutter konnte sie keine Unterstützung mehr erwarten. Die hatte den Kontakt abgebrochen und war irgendwohin ausgewandert.

Lea haderte mit ihrem Schicksal. Sie musste auf eigenen Beinen stehen. Die Verlagsabsagen hatten jedoch auch etwas Positives. Sie wusste nun, was verlangt wird. Einhundert Seiten sind für einen Roman zu wenig, und für eine Kriminalkurzgeschichte sollten es zehn bis fünfzehn Seiten sein. Sie zog Fachbücher zurate und versuchte es noch einmal mit einer Geschichte, die ihr beim Fensterputzen eingefallen war.

Die Arbeit hatte sich gelohnt. Das Glückwunschschreiben zur Aufnahme in eine Anthologie und ihren ersten Vertrag rahmte sie sich ein. Ihr Belegexemplar stellte sie später auf die Kommode darunter.

Doch anstatt sich über den Durchbruch zu freuen und mit Kurzkrimis weiterzumachen, wollte Lea es als Nächstes lieber mit einem vollständigen Roman versuchen. Ja, das war ihr wesentlich sympathischer, länger bei ihren erfundenen Figuren bleiben zu können. Das Gefühl, damit endlich groß rauszukommen, stieg von Seite zu Seite, bis sie nach einhundertachtzig Seiten ein ENDE daruntersetzte. Auserzählt. Oh je! Da musste sie noch mal ran.

Da Lea keine Nachteule war, bevorzugte sie es, in den frühen Morgenstunden zu schreiben. So saß sie auch diesen Morgen wieder um sechs Uhr in ihrem Sleepshirt auf dem Relaxsessel und zog den Servierwagen zu sich heran, auf dem der Laptop stand. Sie fuhr alle Systeme hoch. Für den Laptop bedurfte es einen Knopfdruck auf »on«, für sie einen starken Kaffee. Den Frühstückstoast ließ sie weg, weil sie erst gestern mühsam die Tastatur gereinigt hatte, nachdem vier Tasten klemmten.

Nur langsam erschien ein Icon nach dem anderen auf dem Desktop, danach folgten Backup- und Update-Aufforderungen, Virusmeldungen – die aber save sein sollten – und einundfünfzig Mails, davon fünfzig Spams von Betrügern, Besserwissern und Produktwerbern. Am liebsten hätte sie auf Steuerung und A gedrückt und alle Mails in ihrem Posteingang auf einmal gelöscht. Doch das wäre fatal gewesen, weil sie so ihre Beweismittel gelöscht hätte: die mindestens vierzig Mails des Stalkers, dem sie zum ersten Mal auf Facebook begegnet war. Leichtsinnigerweise hatte sie ihm ihre private Mailadresse mitgeteilt und damit angegeben, dass sie eine erfolgreiche Krimiautorin sei, die an ihrem neuen Romanprojekt für einen großen Verlag arbeite. Titel und Erscheinungstag seien noch geheim.

Von da an hatte er ihr jeden Tag geschrieben und viel Erfolg gewünscht, gebettelt, sie möge ihm als treuem Fan doch zumindest eine Andeutung dazu machen, damit er ja nichts verpasse. Tat sie natürlich nicht. Er gab keine Ruhe. Sein wiederholtes Drängen ließ sie aufhorchen und endlich vorsichtig sein. Außerdem konnte sie sich sehr schnell in ihrem Fantasienetz verfangen, wenn sie die Rolle der erfolgreichen Autorin so weiterspielte.

Mr. Z., wie sie ihn heimlich nannte, weil er seine Mail immer nur mit dem Kürzel P.B.Z unterschrieb, gab nicht auf. Er begann, ihr Liebesgedichte zu schreiben, und schickte ein Foto von sich. Die unendliche Neugier ließ sie auf Datei öffnen klicken. Nun gut. Er war absolut nicht ihr Typ, obwohl sein Gesicht und seine Ausstrahlung okay waren. Nur mit seinem Outfit sah er so gar nicht modern aus, sondern so, als habe er sich seit 1959 keine neuen Klamotten mehr gekauft. Ob er sich in seinem Alter noch umstylen ließ? Ach, warum machte sie sich Gedanken darüber? Sie hatte mit der Männerwelt abgeschlossen, musste aus zwingendem Interesse an ihrer Karriere als Autorin basteln. Wieder einmal bekam sie beim Löschen der Spams einen Krampf im Mittelfinger, und fast hätte sie diese eine Mail, diese alles entscheidende Mail, gelöscht:

Sehr geehrte Frau Schein,

gerne möchten wir Sie als Autorin und Gastgeberin zu einem unserer Krimiwochenenden Autorin zum Anfassen einladen. Bitte tragen Sie in unserem Doodle-Kalender maximal zwei mögliche Termine ein, an denen Sie uns in Hillesheim besuchen und lesen möchten. Wir melden uns umgehend zwecks konkreter Terminabstimmung bei Ihnen. Senden Sie uns … Unser Programm läuft wie folgt ab:

Mit freundlichen Grüßen

aus der Krimihauptstadt

Ihre Veranstaltungsleiterin

Sarah Staehler

Lea war platt. Sie sollte eine Autorenlesung geben, obwohl sie nur eine Kurzgeschichte veröffentlicht hatte? Von ihrem unveröffentlichten Roman, der eigentlich vollständig erzählt war, aber viel zu wenige Seiten besaß, konnte diese Veranstaltungsleiterin ja nichts wissen. Handelte es sich bei der Einladung etwa um eine Verwechslung?

Nachdem sie sich das Krimihotel online angesehen hatte und wusste, dass diese Mail echt war, trug sie umgehend ihre Wunschtermine in den Kalender ein. Anfang oder Ende September wäre ihr sehr recht. Flott noch ein Foto für das Plakat und die Tagespost des Hotels gemacht. Noch eins, noch eins, nee, lieber noch eins. Sie konnte sich nicht entscheiden, welches wohl besser aussah. Mal steckte sie die langen Haare hoch, mal trug sie die Mähne offen, schminkte sich die Lippen rot und wieder ab. Alles blöd! Halt! Es lag an der Kleidung. Vor dem weit geöffneten Kleiderschrank stehend, war das Chaos – nicht nur in ihrem Kopf – perfekt. Was zog man für solche Fotos an? Tiefer Ausschnitt oder hochgeschlossen? Welche Mimik machte man – als Krimiautorin? Ernst, böse, fröhlich? Zu allem Übel musste sie nun ihr Make-up erneuern, es glänzte fürchterlich. Nein, eitel war sie nicht. Nur aufgeregt.

Es ging um alles. Es galt Sympathien zu wecken, damit möglichst viele das Arrangement mit ihr buchten, weil es sonst nicht stattfinden konnte. So hatte sie es zumindest aus den Konditionen interpretiert.

Kaum hatte sie auf »Senden« geklickt, las sie sich den Anhang mit dem Verlauf der Veranstaltung noch einmal gründlich durch.

Freitag, 18:00 Uhr

Vorstellung der Autorin bei einem Blutrausch im Clubzimmer.

Bei Lea kamen erste Zweifel auf. Wenn sie an zwei Tagen lesen musste, durfte sie nicht ein und dieselbe Story vortragen. Ihre Gäste erwarteten sicherlich etwas mehr Abwechslung. Sie könnte zusätzlich ihren Roman vortragen, doch dann sollte sie ihn vorher veröffentlicht haben. Sie hatte mal von einer Self-Publishing-Plattform gehört. Hoffentlich war es nicht zu kompliziert, ihn selbst einzustellen.

Und danach? Sie wusste noch nicht einmal, wie lange sie vorlesen musste und ob eine Pause nötig war. Ach, wäre sie doch nur selbst mal zu einer Lesung gegangen und hätte es sich von den anderen Autoren abgeschaut.

Lea atmete tief durch, was nur kurz Entspannung brachte. War sie überhaupt bekannt genug, um als Autorin zum Anfassen gebucht zu werden? Worauf ließ sie sich da genau ein?

Schluss mit der Fragerei. Taten mussten folgen, nein, Stoff. Krimistoff. Sie könnte eine weitere Kurzgeschichte schreiben. Worüber? Mord im Hotel? Mord im Zug? Mord im Flugzeug? Für wann hatte sie sich noch mal in den Krimihotel-Kalender eingetragen?

2. Der Stalker

Sie war mitten in ihrer neuen Kriminalkurzgeschichte, als das Telefon klingelte.

»Ja, hallo? Lea Schein hier.«

»Ah, wie schön, dass ich Sie direkt am Apparat habe und nicht Ihre Agentin«, sprach die überaus freundliche Männerstimme.

Lea setzte sich wieder an ihren Platz, legte die Beine auf den Hocker. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie und lauschte seinen Seufzern.

»Ach, ich hatte mir so gewünscht, dass Sie zumindest eine von meinen einundvierzig Mails beantwortet hätten. Aber nun darf ich Sie persönlich sprechen. Noch besser.«

Leas Kinnlade fiel nach unten. »Woher haben Sie meine Telefonnummer?« Hoffentlich hörte es sich nicht ängstlich an, dachte sie kurz, wohl wissend, dass das jetzt auch keine Rolle mehr spielte.

»Von Ihrer Website. Nur wollte ich nicht sofort bei Ihnen anrufen, hatte gehofft, Sie melden sich freiwillig. Freundlicherweise standen die Kontaktangaben unter Impressum.«

»Freundlicherweise wäre zu viel behauptet«, sagte Lea. »Es ist Pflicht, die Angaben zu machen.« Das hatte sie mal von einem Anwalt gehört, der sich darauf spezialisiert hatte, fehlende Angaben aufzuspüren. Sie war damals mit dem Schrecken davon gekommen.

»Mein Glück!«, rief er aus, als habe er ein Nugget geschürft, »aber das Glück wäre erst vollkommen, wenn ich ein Treffen mit Ihnen bekäme. Ich habe Ihnen so viel zu erzählen und bin mir sicher, es geht Ihnen ebenso …«

»Sie …«

»Sie haben doch sonst niemanden – wie ich … und da könnten wir uns zusammentun.«

»Ich …«

»Ich interessiere mich auch für Krimis … und ich könnte Ihnen eine wahre Krimigeschichte erzählen …«

»… und?«

»… und wir könnten gemeinsam viel Spaß haben.«

»Wie meinen Sie das?« Endlich war sie vollständig zu Wort gekommen.

»Harmlos! Wirklich harmlos! Das garantiere ich mit meinem Namen.«

»Apropos! Mit wem spreche ich? Ich habe den Eindruck, dass die Mailabsender Engelchen54, DerEinsame, Lonesome13 und Princeofheart zu ein und derselben Person gehören, weil die Inhalte sich so gleichen. Kann das sein? Da hätten Sie wirklich geschickter vorgehen müssen.«

»Oh Moment! Ich melde mich gleich wieder! Muss mich schnell um etwas kümmern!«

Lea sah auf das Display. Nichts zu sehen!

Im Bett liegend, kreisten ihre Gedanken. Genau genommen war es nur einer: ihr bevorstehender Lesungstermin in der Eifel, im Krimihotel. Würde sich ihre spontane Anmeldung bald rächen? Auf der anderen Seite, wie sollte sie sonst ihre Erfahrungen sammeln, wie es war, vor einem großen Publikum zu lesen? Ob es im Hotel eine Mikrofonanlage gab? Ihre Stimme war nur besonders kräftig, wenn sie schrie, ansonsten sprach sie eher leise. Aber ihre Gäste – … ihre Gäste! … wie wundervoll sich das anhörte! – durfte sie unmöglich neunzig Minuten lang anschreien. Gleich morgen wollte sie sich nach der Tontechnik erkundigen.

Sie sah mit bleischweren Lidern auf den Wecker, stellte ihn auf sechs Uhr und seufzte. Es gab so viel zu tun … so viel …

Ein gellender Pfiff in der Dunkelheit! Ihr Handy!

Sie reckte sich danach und nahm an.

»Hallo! Lea?«

»Hallo? Ja, am Apparat. Wer ist da?«

»Ihr größter Fan!«

»Wo haben Sie denn jetzt um Himmels willen meine Handynummer her?«

»Immer noch von Ihrer Website.« Er lachte.

Lea schnaubte. »Haben Sie mal auf die Uhr geschaut?«

»Jede Minute. Bis ich den Entschluss gefasst hatte. Ich musste Sie unbedingt noch einmal sprechen.«

Wäre seine Stimme nur nicht so nett. Sie liebte diese tiefen Stimmen, die so sanft und warm waren. Radiosprecher waren oft damit gesegnet.

»Sind Sie Radiosprecher?«

»Nein, wieso?«

»Weil Sie so viel reden.«

»Ach«, seufzte er, »es geht mir ja nur darum, Sie näher kennenzulernen.«

»Da haben Sie einen ungünstigen Zeitpunkt erwischt.« Lea verabschiedete sich schroff, drückte auf den AusKnopf und stellte sofort das Handy auf lautlos.

Was würde er sich als Nächstes einfallen lassen? Sie mochte nicht daran denken.

3. Bei Ankunft Krimihotel

Bis zum Morgen der Veranstaltung hatte sie an ihren Kurzkrimis gestrickt, ohne Nadel, aber mit rotem Faden. Zwischendurch verhedderte sie sich. Viele Knoten ließen sich nicht mehr lösen. Dafür setzte sie einen roten Hering aus. So nannte man unter Autoren eine falsche Fährte. Ob das half? Bei der Überarbeitung war ihr aufgefallen, wie tiefgründig einige Figuren waren. Sie eigneten sich eher für einen Roman. Also schrieb sie rasch deren Lebensläufe auf und schickte sie in den Ordner für ein neues Projekt. Auch eine Schauplatzbeschreibung von Bad Münstereifel war ihr eingefallen, wo sie vor fünfzehn Jahren einmal gewesen war. Zwei Klicks im Internet, und sie stellte mit Schrecken fest, dass sich seitdem viel verändert hatte. Aus dem Tod im Heino-Café müsste sie nun ein Tod im Outlet-Center machen. Doch waren die Kleiderhaken in der Umkleidekabine stabil genug? Wäre ein Mord während des Publikumsverkehrs überhaupt möglich? Nur nicht den Namen des Geschäfts nennen. Das würde Ärger geben.

Stopp! Lea durfte sich nicht verzetteln. Sie brach ihr Vorhaben ab, auf die Schnelle die Geschichte zu Ende zu schreiben. Das schaffte sie nicht mehr. Hauptsache, ihr Roman war eingestellt, als eBook und Printversion. ›Geht in Kürze online‹ stand auf der Website. Immerhin!

Lea packte emsig ihre fünf Sachen zusammen: Laptop, Notizbuch, USB-Stick, Buch und Koffer mit Klamotten.

High Noon. Sie war bereit.

Nach einer beschaulichen Fahrt über Berg und Tal und durch Eifeldörfer fuhr Lea den abschüssigen Weg entlang, direkt auf Das Krimihotel zu. Ein imposantes altes Eckgebäude mit spitzen Giebeln und kunstvoll verlegtem rötlichen Stein im unteren Bereich. Die Eingangstür aus massivem Holz mit Glaseinsatz war mit auffallend schöner Kunstschmiedearbeit verziert. Weiter oben sah Lea gelbe Backsteine, in denen die schmalen Erkerfenster besonders gut zur Geltung kamen. Alles in allem eine filmreife Krimikulisse. Alfred Hitchcock hätte seine wahre Freude daran gehabt.

Lea bog nach rechts ab und wieder scharf links auf den hoteleigenen Parkplatz. Bäume beschatteten die großzügig angelegten Parkbuchten. Gut so, bei der Septembersonne. Etwas weniger Hitze hätte es auch getan. Aber sie wollte nicht undankbar sein.

Freudig raffte sie die Taschen zusammen, warf einen Blick in die Laptoptasche, weil sie nicht mehr wusste, wohin sie das ausgedruckte Romanmanuskript gesteckt hatte. Hierhin schon mal nicht, und dann fiel es ihr während eines aufkommenden Schwindelanfalls wieder ein: Es lag zu Hause! Da es erst später im Netz stehen würde und sie noch kein Exemplar bekommen hatte, musste Plan B her. Zur Not musste sie den Schluss der beiden neuen Kurzgeschichten während des Lesens dazu erfinden. Sie könnte ein Ratespiel daraus machen. Besser nicht. Auch dann würde sie das Ende schuldig bleiben und gezwungen sein, Rede und Antwort zu stehen.

Der kürzeste Weg vom Parkplatz ins Hotel führte zum Hintereingang. Lea rollte den Koffer durch den Flur, vorbei an der Wand mit sechs Schwarz-Weiß-Fotos bekannter Verbrecher aus vergangenen Zeiten. Darüber befand sich eine riesige Leinwand mit vielen auf Postkartengröße verkleinerten Plakaten alter James-Bond-Filme. Lea blieb kurz stehen und erinnerte sich an einige Kinobesuche. Es machte ›Pling‹, während sich die Aufzugtür links neben ihr öffnete. Ein tätowierter Riese setzte sich in Bewegung. Er sah ihre schreckgeweiteten Augen, hob die dürren Arme in die Luft und bewegte sich wie ein Zombie auf sie zu.

Lea schrie kurz auf.

Es war nicht immer lustig, wenn Menschen meinten, Humor zu haben.

Eine Frau mit Kurzhaarfrisur und rotem Poloshirt mit langer Schürze über der Hose kam aufgeregt um die Ecke gelaufen und fragte, was passiert sei. Nach der Entwarnung war sie sichtlich erleichtert und entschuldigte sich damit, dass man es in einem Krimihotel ja nie wisse … Sie stockte. »Sie sind die Autorin, richtig?«

Lea lächelte zustimmend.

»Wunderbar! Ich bin Romy vom Service-Team. Wir freuen uns auf Sie und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Krimihotel. Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie einfach.«

Lea sah dorthin, wo eben noch der Zombie gestanden hatte, doch der war wohl auf der Suche nach seinem nächsten Blutopfer.

»Ihren Zimmerschlüssel bekommen Sie drüben im Hotel Augustiner Kloster, vor dem Haupteingang rechts, circa fünfzig Meter von hier entfernt. Dort können Sie sich anmelden und erfahren alles Weitere. Ich erwarte Sie dann heute Abend zum Blutrausch im Clubraum.«

Blutrausch – Zombie. Ja, sicher. Lea bedankte sich für die freundliche Begrüßung und machte sich auf den Weg.

Romy rief ihr hinterher: »Lassen Sie den Koffer ruhig hier stehen. Hier kommt nichts weg.«

Das moderne Tagungs-, Golf- und Wellnesshotel fand Lea sofort. Der Name deutete wohl an, dass es früher tatsächlich ein Kloster gewesen war. Von der kompakten Bauweise her könnte es stimmen. Die Empfangshalle war gigantisch mit ihren hohen Decken. Auf dem Boden befanden sich große quadratische rosafarbene Marmorplatten, die wiederum mit schwarzem Marmor umrandet waren. Der großzügig bemessene Empfangstresen, mit schwarzem Leder bespannt, bot reichlich Platz für das Check-in und Check-out der Gäste.

Lea stellte sich dem smarten Hotelangestellten im schwarzen Anzug vor. Sie sagte, dass sie zum Anfassen sei, also die Autorin zum Anfassen. Die anderen zwei Rezeptionistinnen nickten wissend und sahen kurz auf. Der Dunkelhaarige mit den perfekt gegelten Haaren lächelte, tippte auf seiner Tastatur herum und sah zwischendurch immer wieder auf den Monitor. »Das Alfred-Hitchcock-Zimmer steht für Sie bereit. Bitte sehr.« Er überreichte ihr einen Schlüsselbund mit ovalem Messinganhänger, wie ihn Kriminalkommissare mit sich führten, um sich auszuweisen. Nur mit dem Unterschied, dass auf ihrem die Zimmernummer und nicht die Dienstnummer stand. Schnell den Zettel ausfüllen, fertig.

»Moment bitte noch.« Er griff zum Telefonhörer und bat eine Frau …, den Namen verstand Lea nicht, weil er so leise gesprochen war, sie möge bitte mal kommen. Es sei so weit.

Lea war sich keiner Schuld bewusst und wartete gelassen ab.

Da kam sie auch schon, die Veranstaltungsleiterin. Auf ihrem Namensschild stand Sarah Staehler. Sie hatte ihr die Suppe eingebrockt … aber nein, sie durfte nicht ungerecht sein. Sehr gerne hätte Lea sie gefragt, ob eine Verwechslung mit einer anderen Autorin vorläge, aber als Profi ging man lächelnd darüber hinweg. Die wussten hier schon, was sie taten.

»Ich freue mich, Sie nun persönlich begrüßen zu dürfen. Haben Sie gut hierhergefunden?« Ihre Stimme war angenehm und nicht übertrieben freundlich. Sie zeigte auf eine Ecke am Empfang, wo sie ungestört mit ihr reden wollte.

»Ja, das Hierherfinden war nicht das Problem, dafür habe ich mir eine Na vigatorin mit Orientierungssinn besorgt. Es gab da nur … aber jetzt ist alles gut.« Lea beendete den Satz lieber vorzeitig. Sie wollte sich nicht verplappern und sagen, dass sie nur drei Geschichten im Gepäck hatte, wovon zwei unvollendet waren.

Ihr Gegenüber hakte glücklicherweise nicht nach. »Einige der Gäste haben bereits die Zimmer bezogen. Es ist ein bunt gemischtes Publikum. Aber das kennen Sie ja.«

Lea nickte zaghaft. Sie freute sich nach außen, nach innen wurde ihr mulmig zumute. »Wie viele sind es denn insgesamt?«, fragte sie leise.

Nun räusperte sich die Veranstaltungsleiterin. »Sicher, wir hatten mit mehr gerechnet. Aber da steckt man nicht drin. Normalerweise sind alle Zimmer ausgebucht. So dreißig, vierzig Gäste …«

»… und diesmal?« Lea schluckte.

»Diesmal sind es neun, ach, was sage ich: zehn Gäste. Eine gemütliche Runde. Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Spaß mit Ihrem Publikum. Hier ist der Ablaufplan.« Sie reichte Lea mehrere Zettel, einige Stellen waren gelb markiert. »Es wäre gut, wenn Sie sich an die Zeiten halten könnten, damit unser Koch und der Service beim Ablauf der Menüs nicht in Bedrängnis kommen. Es kommt immer gut an, wenn die Autoren sich am Blutrausch-Abend ausführlich vorstellen – zur Einstimmung sozusagen. Am Samstag bleibt genügend Zeit für die Lesungen und Ihre vielen Geschichten und Bücher.«

In diesem Moment bereute Lea es, auf ihrer Website so dick aufgetragen zu haben. Sie hatte einen Beitrag nach dem anderen geschrieben und sich viele Inhaltsangaben für ihre Storys ausgedacht. Dass die erst noch geschrieben werden mussten, stand natürlich nicht dabei. Es waren über dreißig.

»Steht eine Mikrofonanlage bereit?«, fragte sie und fand, es klang sehr professionell.

»Die wird wohl nicht nötig sein. Aufgrund der geringen Teilnehmeranzahl finden die Menülesungen im Clubraum statt. Dort, wo heute Abend der Blutrausch-Empfang ist. Ich habe dem Service-Team Bescheid gegeben, dass es Ihnen einen Tisch für Ihre Bücher bereitstellt, die Sie selbstverständlich in eigener Regie verkaufen können.«

Lea nickte. »Fein.« Können könnte, fügte sie gedanklich hinzu.

»Wenn Sie noch Fragen haben, wir stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

Lea bedankte sich artig und wollte nur noch auf ihr Zimmer gehen, sich beim Duschen sammeln. Zeit, den Schluss mindestens einer Geschichte zu schreiben, blieb ihr nicht mehr. Shit! Sie hätte die Blätter danach kopieren und heften … und dann hätte sie doch noch können können und vielleicht über den Verleger, die Druckerei oder die Lektorin schimpfen, dass die es nicht rechtzeitig geschafft hätten und sie nun leider, leider … mal schauen.

Diesmal nahm Lea den Vordereingang des Krimihotels. Sie stemmte sich gegen die hohe Türe aus schwerem Holz und stolperte in den Flur, als diese von der anderen Seite aufgerissen wurde.

»Entschuldigung«, stammelte eine grau-braun-blonde Frau mit hochrotem Kopf, den sie schon vorher gehabt haben musste, so sehr glühte er. Lag es an der Hitze oder an ihren zu engen Sachen, die ihr die Luft wegnahmen? Vermutlich an beidem.

Sie zwängten sich aneinander vorbei. Lea winkte ab. »Sie müssen sich nicht entschuldigen. Ich hätte besser aufpassen sollen«, sagte sie, »sind Sie ein Übernachtungsgast – übers Wochenende, wenn ich fragen darf?«

»Warum wollen Sie das wissen?«, kam es schroff zurück.

Lea zog den Kopf ein. Nun wurde sie rot. »Nur so, ich meine, ich lese am Wochenende hier und dachte, Sie wären mein Gast, und da hätte ich mich Ihnen gleich …«

Ihr Gegenüber verzog das Gesicht, was ungefähr so aussah wie das Lächeln eines Gruselclowns. Doch dann: »Ach, Sie sind das! Wieso habe ich Sie nicht sofort erkannt? Draußen hängt doch Ihr Plakat! In natura sehen Sie viel besser aus.« Sie reichte Lea versöhnlich die Hand. »Mein Name ist Natascha Klein, obwohl ich es nicht bin.«

Lea legte ein paar Fragezeichen auf ihre Stirn.

»Na, ich bin ja nicht klein, sondern groß«, antwortete sie. »Sie ja auch.«

Lea sah zu ihr herunter. Noch nie war ihr eine Frau begegnet, die so voller Gegensätze war. Da passte der Name wunderbar ins Bild. Sie sagte Sätze, die man fröhlich fühlen konnte, die sie aber traurig oder wütend aussprach.